Das Leben mit der Prothese muss erst gelernt werden

In Osterhofen in Niederbayern gibt es die einzige deutsche Spezialklinik für Amputationsmedizin. Hier werden Patienten nach Amputationen rundum betreut, von der Akutversorgung über die Reha bis zur Ambulanz.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Die ersten Übungen werden medizinisch überwacht.

Die ersten Übungen werden medizinisch überwacht.

© Fotos: Fachklinik Osterhofen

Große alte Bäume, Blumenkübel, Badmintonnetze auf dem Rasen, eine Holzbrücke über einem Seerosen-Teich - in diesem Krankenhausgarten in Osterhofen können die Patienten richtig entspannen. Doch dieser Garten ist mehr als eine grüne Oase - er ist ein ausgeklügelter Therapiegarten. Der Hof mit den Blumenkübeln etwa dient als Trainingsgelände fürs Rollstuhlfahren. Und auf den teilweise recht steilen Wegen mit unterschiedlichen Oberflächen lernen die Patienten wieder, zu gehen. Mit Prothesen. Denn sie alle haben eine Amputation hinter sich. Dieses Krankenhaus in Niederbayern ist die einzige deutsche Fachklinik für Amputationsmedizin.

Der Chefarzt selbst trägt eine Prothese

Auch das Konzept der Fachklinik ist einzigartig. Geboten wird nämlich eine Rundumversorgung für Amputationspatienten - von der Akutversorgung über die Anschlussbehandlung und die Rehabilitation bis hin zur ambulanten Betreuung. Auch operiert wird von den Ärzten - allerdings in dem größeren Krankenhaus in der nahen Kreisstadt Deggendorf.

Bequem für die Patienten: Sie merken es nicht, wenn sie von der Akutversorgung in die Reha wechseln. Sie bleiben im selben Zimmer. Die drei Stationen in dem 70-Betten-Krankenhaus sind bewusst gemischt. So können Patienten gleich nach einer Amputation erleben, wie andere Menschen, die ein ähnliches Schicksal erlitten haben, wieder gehen können. Das motiviert.

Das Konzept geht auf den Ärztlichen Direktor und Chefarzt Dr. Fritz Haas zurück. Er ist Unfallchirurg, hat lange in der Reha gearbeitet, ist Spezialist für Prothesen - und weiß, was Patienten mit Amputationen brauchen. Denn Haas trägt seit Jahrzehnten eine Oberschenkelprothese. Als er 1999 die Klinik in Osterhofen gründete, sei das Konzept die logische Konsequenz aus seinen Erfahrungen als Arzt und als Patient gewesen, sagt Haas.

Aufgenommen werden auch Patienten, bei denen eine Amputation droht. Das ist Haas sogar besonders wichtig. Denn sein Hauptziel ist, Amputationen zu vermeiden. Die meisten Patienten jedoch, die nach Osterhofen kommen, haben bereits ein ganzes Bein, einen Unterschenkel, manchmal beide Beine, selten einen Arm, verloren.

Amputationen sind häufiger als oft gedacht. Jedes Jahr werden allein in Deutschland 48 000 große Gliedmaßen amputiert. Grund ist in den meisten Fällen eine Durchblutungsstörung oder eine Stoffwechselerkrankung, meist Diabetes. Auch schwere Unfälle oder Krebs können Ursache der Amputation sein.

In der Klinik in Osterhofen werden schwerkranke, häufig multimorbide alte Patienten betreut. Der Case-Mix-Index liegt bei 2,2, das entspricht dem Index für Intensivabteilungen, erklärt Haas. Normalerweise habe eine überregional tätige Klinik einen Index von 1,2.

Eine Orthopädie-Werkstatt ist an die Klinik angebunden

Um diese Patienten wieder fürs Leben fit zu machen, wird in Osterhofen alles versucht. Dabei setzt das Team auf eine ganzheitliche Betreuung. Zur Klinik gehört eine große Orthopädietechnik-Werkstatt. Hier werden für jeden Patienten individuell die Prothesen gefertigt. Dabei arbeitet die Klinik mit allen Herstellern zusammen, um immer auf dem neuen Stand der Technik zu sein.

Nach modernen Methoden arbeitet auch die physiotherapeutische Abteilung. Es gibt nicht nur ein medizinisches Trainingszentrum und ein Therapieschwimmbecken. Für die Gangschulung wurde ein modernes, videogestütztes Gehzentrum eingerichtet. In einem speziellen Raum werden Patienten nach Armamputationen in den Dingen des täglichen Lebens geschult.

Sommers wie winters wird im Therapiegarten geübt. "Man muss auch Realsituationen draußen erleben, einen nassen oder einen schneebedeckten Boden", sagt Andrea Ludwig, die Leiterin der Physiotherapie. An einem Trainingsauto wird außerdem das Ein- und das Aussteigen geübt. Die Patienten können hier auch das Fahren mit Handgas kennen lernen.

Ganz wichtig ist der Sport. Sporttherapeuten spielen mit den Patienten Tischtennis oder Badminton. Walking und Radfahr-Kurse werden angeboten. In jeder Woche geht es zum Kegeln und zum Bogenschießen außerhalb der Klinik.

Mehrfach im Jahr werden ehemalige Patienten und ihre Familien zu einem Sport-Aktivwochenende eingeladen. Im Sommer stehen Golfen, Reiten, Kanufahren, Tanzen, auch mal Inlineskating auf dem Programm, im Winter Skifahren und Langlauf. Chefarzt Haas ist immer dabei. Er ist Skilehrer und leitet Skikurse für Oberschenkelamputierte.

Das Konzept der Spezialklinik in Osterhofen sei ein echter Erfolg, sagt Haas. Die Klinik hat eine Belegung von konstant 96 Prozent. "Wir entlassen die Patienten etwa über Weihnachten und Ostern nach Hause, sonst hätten wir sogar eine Belegung von 100 Prozent."

Fachklinik für Amputationsmedizin Osterhofen

Leitung: Ärztlicher Direktor und Chefarzt Dr. Fritz Haas

Angebot: Die Fachklinik wurde am 1. Juli 1999 eröffnet. Angeboten werden Akutversorgung, Anschlussbehandlung, Rehabilitation und ambulante Versorgung von Patienten mit Amputationen.

Größe: 70 Betten, davon 35 Akutbetten und 35 Betten für die stationäre Reha.

Verweildauer: 25 Tage im Akutbereich, 35 Tage im Rehabereich

Case-Mix-Index: 2,2

Belegung: 96 Prozent

Ärzte: Ein Chefarzt, zwei Oberärzte, sechs Assistenzärzte

Physiotherapie: Zehn Therapeuten, davon zwei Sporttherapeuten und ein Masseur

Werkstatt: Fünf Orthopädietechnik-Meister

Kostenträger: Alle Kassen, auch Berufsgenossenschaften und Rentenversicherungen

Adresse: Plattlinger Straße 29, 94486 Osterhofen, Tel: 0 99 32 / 3 91 19, www.fachklinik-osterhofen.de

Schlagworte:
Mehr zum Thema

„ÄrzteTag“-Podcast

Wie Hausärzte Fortbildung jetzt „feiern“

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken

Gesundheitsminister Lauterbach hat angekündigt, den Entwurf für die Klinikreform am 8. Mai im Kabinett beraten lassen zu wollen. 

© picture alliance / Geisler-Fotopress

Großes Reformpuzzle

So will Lauterbach den Krankenhaus-Sektor umbauen