Arztfehler: Kasse spricht Patienten aktiv an

Pro Jahr 950 Anrufe erhält die Barmer GEK auf ihrer Behandlungsfehler-Hotline. Doch die Fälle, die hiervon bearbeitet werden, sind nur die Spitze des Eisbergs. Denn häufig ist der Weg umgekehrt: Die Kasse stößt auf Auffälligkeiten und spricht die Versicherten an.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
An Behandlungsunterlagen kommt die Kasse nur, wenn Patienten zustimmen, deshalb fragen Kassen gezielt nach Fehlbehandlungen.

An Behandlungsunterlagen kommt die Kasse nur, wenn Patienten zustimmen, deshalb fragen Kassen gezielt nach Fehlbehandlungen.

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Die Barmer GEK bearbeitet zurzeit 7500 Fälle, bei denen Versicherte möglicherweise Opfer eines Behandlungsfehlers geworden sind. Dabei bietet Deutschlands größte Krankenkasse ihren Versicherten eine spezielle Behandlungsfehler-Hotline an. "Pro Jahr erhalten wir dort rund 950 Anrufe", berichtet Barmer GEK-Experte Fred Striefler.

Nicht immer ist bei der Versorgung wirklich etwas schief gelaufen. "Natürlich steckt nicht hinter jedem Vorwurf, wie vehement er auch vorgebracht wird, tatsächlich ein Behandlungsfehler", sagt er. Ein Versicherter hat sich an die Hotline gewandt, weil dem Zahnarzt bei der Behandlung der Bohrer leicht abgerutscht war. "Immer wieder müssen wir Anrufern erklären, dass nicht jeder Behandlung, die nicht zum gewünschten Erfolg führt, ein Fehler zugrunde liegt."

Häufig wenden sich nicht die Patienten an die Kasse, sondern es läuft umgekehrt: Die Kassenmitarbeiter stoßen in den Unterlagen auf auffällige Diagnosen und nehmen Kontakt mit dem Betroffenen auf. "Als Krankenkasse können wir nicht selbst die Behandlungsunterlagen einfordern. Dazu brauchen wir die Schweigepflichtsentbindung des Versicherten", sagt Striefler.

Längst nicht alle Patienten wollen sich mit dem Arzt oder dem Krankenhaus streiten, weiß er. Entscheiden sie sich aber dafür, fordert die Kasse mit ihrem Einverständnis die Behandlungsunterlagen an. Sie werden dann von den Ärzten des Medizinischen Diensts der Krankenkassen geprüft. Dann berät die Barmer GEK die Versicherten darüber, welches weitere Vorgehen sinnvoll ist.

Neben der Unterstützung der Versicherten haben Krankenkassen - ebenso wie private Krankenversicherer - ein direktes Interesse an der Aufklärung von Fehlbehandlungen. Schließlich können sie gegebenenfalls Kliniken, Ärzte oder andere Behandler in Regress nehmen. Die Barmer GEK hat sich auf diesem Weg im vergangenen Jahr in der Krankenversicherung 16,1 Millionen Euro wiedergeholt, ein Jahr zuvor waren es 18,2 Millionen Euro.

Die Unterstützung ist für die Patienten kostenlos, wie das auch bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Landesärztekammern der Fall ist. An sie haben sich im vergangenen Jahr fast 11 000 Patienten gewandt. Nach Angaben der Bundesärztekammer bewerten die Einrichtungen gut ein Viertel aller vermuteten Arzthaftungsfälle in Deutschland.

Ihre Zahl hat in den vergangenen Jahren kontinuierlich zugenommen. "Das liegt nicht daran, dass die Ärzte schlechter geworden sind, sondern eher daran, dass sich die Patienten ihrer Rechte zunehmend bewusst werden", sagt Wolfgang Schuldzinski, Jurist und Gesundheitsexperte der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Er hält die Gutachterkommissionen nicht immer für die geeignete Anlaufstelle für Patienten, die einen Behandlungsfehler vermuten. Das Problem sei, dass die Juristen und Ärzte dort nur nach Aktenlage entscheiden. "Bei ganz klaren Angelegenheiten kann das aber ein kostengünstiger Weg sein."

Schuldzinski sieht auch die direkte Auseinandersetzung zwischen Patienten und Ärzten kritisch. Zwar sollten Patienten sich melden, wenn sie das Gefühl haben, dass bei ihrer Behandlung etwas falsch läuft, etwa Medikamente vergessen werden. "Nach der Behandlung sollten sie nur mit juristischem Beistand das Gespräch suchen." Für die Patienten könnte es Nachteile haben, wenn sie auf eigene Faust versuchen, die Sache zu klären und Behandlungsunterlagen vom Arzt einzufordern, sagt Schuldzinski. Der Grund: Die dreijährige Verjährungsfrist läuft ab dem Zeitpunkt, von dem ein Patient Kenntnis von dem eventuellen Schaden hat, also etwa Einblick in die Unterlagen nimmt.

Eine Frau geht zum Chiropraktiker zur Behandlung. Bei der Drehung und Dehnung des Halses löst sich eine Plaque-Ablagerung im Halswirbel, die Verstopfung der Arterie führt wenige Tage später zu einem Schlaganfall. Der Rettungsdienst bringt die Patientin in eine Klinik der Großstadt - die hat aber vergessen, sich von der Notfallbereitschaft abzumelden. Der zuständige Arzt ist nicht im Haus, die Geräte sind nicht betriebsbereit. Dennoch nimmt die Klinik die Frau auf, versorgt sie aber nicht sofort. Die Patientin bricht auf der Toilette bewusstlos zusammen und wird nur gefunden, weil der Ehemann sie sucht. Erst dann kommt sie in eine Klinik, in der sie sachgerecht versorgt wird.

Der Frau geht es inzwischen wieder gut. Sie musste nicht von sich aus tätig werden. In ihrem Fall erkannte die Arag Krankenversicherung anhand der Abrechnungsunterlagen die fehlerhaften Abläufe bei der Versorgung ihrer Kundin. Der Versicherer hat der Frau Unterstützung angeboten, berichtet Klaus Heiermann von der Arag. "Unsere Experten haben gesehen, dass die Frau gute Chancen hat, Schadenersatz geltend zu machen."

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