Jetzt haben Kooperationen neue Chancen

Mehr Freiheiten bei der Zulassung und größere Flexibilität bei der Gründung von Zweigpraxen: Das neue Versorgungsstrukturgesetz bietet niedergelassenen Ärzten - vor allem in Kooperationen neue Möglichkeiten.

Von Antonia von Alten Veröffentlicht:
Berufsausübungsgemeinschaften können von den Gesetzesänderungen profitieren - etwa bei der Auswahl von Praxispartnern.

Berufsausübungsgemeinschaften können von den Gesetzesänderungen profitieren - etwa bei der Auswahl von Praxispartnern.

© Andresr / shutterstock.com

BERLIN. Seit Januar ist für niedergelassene Ärzte in Einzelpraxis und Kooperationen vieles einfacher. Grund dafür ist das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (VStG).

Es hat zum Ziel, die Hürden für eine Niederlassung möglichst niedrig zu halten - besonders in strukturschwachen Gebieten. Für Ärzte, die ihre Praxisstrategie anpassen, ergeben sich viele Chancen:

  • Vom angestellten Arzt zum Partner: Bei der Suche nach einem neuen Partner können Berufsausübungsgemeinschaften jetzt flexibler agieren: Sie können junge Ärzte zunächst in einer Kennenlernphase anstellen und müssen sie nicht gleich an Vermögen und Gewinn beteiligen.

Wenn die Stammbesatzung nach einiger Zeit merkt, dass die Chemie stimmt, kann sie den angestellten Arzt zu einem Partner mit eigener Zulassung machen. Denn das neue Gesetz ermöglicht es, eine Angestellten-Zulassung in eine Freiberufler-Zulassung zurückzuführen.

Kindererziehung und Pflege werden berücksichtigt

  • Vertretungen in der Praxis: Mehr Rücksicht wird jetzt auf die familiären Belange von Ärztinnen und Ärzten genommen: Nach einer Entbindung können sich Vertragsärztinnen bis zu zwölf Monate lang vertreten lassen - bisher waren es nur sechs Monate.

Zusätzliche Freiräume für die wachsende Familie können junge Eltern durch die Beschäftigung eines Entlastungsassistenten schaffen. Dieser kann unterstützend tätig werden, während die Vertragsärztin ihre Kinder erzieht - gleiches gilt für die jungen Väter unter den Vertragsärzten.

Die Beschäftigung eines Assistenten ist bis zur Dauer von drei Jahren zulässig, wobei dieser Zeitraum nicht zusammenhängend genommen werden muss. Auch die Pflege eines nahen Angehörigen gilt als Grund für die Beschäftigung eines Assistenten.

 

  • Aufhebung der Residenzpflicht: Vertragsärzte - und die in ihrer Praxis angestellten Ärzte - dürfen künftig wohnen, wo sie wollen.

Das heißt konkret: Wenn eine Facharztpraxis abseits der Ballungsräume einen Partner sucht oder für eine etwas abgelegenere Zweigpraxis einen Arzt anstellen möchte, stehen die Chancen, fündig zu werden, jetzt besser.

Allerdings haben manche KVen die Residenzpflicht schon bisher locker gehandhabt: 30 Minuten Fahrzeit zur Praxis wurden meist anerkannt.

  • Gründung von Zweigpraxen: Im letzten Augenblick ins Gesetz gerutscht ist eine Liberalisierung bei der Gründung von Zweigpraxen: So ist es nicht mehr notwendig, dass in der Zweigpraxis nur Leistungen angeboten werden, die auch "in ähnlicher Weise" am Vertragsarztsitz angeboten werden.

Nach dem neuen Gesetz kann beispielsweise eine hausärztliche Gemeinschaftspraxis in einer Zweigpraxis einen Pädiater einsetzen, der dort ausschließlich Kinder behandelt.

Weiter: Die Regelungen zu den Mindest- und Höchstzeiten zur Verteilung der Tätigkeit zwischen Hauptsitz und Filiale sind bei größeren Einheiten wie MVZ nicht mehr auf jeden einzelnen Arzt bezogen. Das ermöglicht Vertragsärzten eine flexiblere Verteilung der Arbeitskräfte zwischen Haupt- und Zweigpraxis.

Befreiung von Budgetgrenzen möglich

  • Abschaffung der Budgetdeckel: Ärzte, die in einem unterversorgten Gebiet als Vertragsarzt tätig sind und sehr viele Patienten versorgen, können künftig von Budgetgrenzen, vor allem durch die Fallzahlbegrenzung, befreit werden.

Ebenso können KVen höhere Punktwerte für bestimmte förderungswürdige Leistungen beschließen oder einen Strukturfonds einrichten, der aus Mitteln der Gesamtvergütung gespeist wird (in Höhe von 0,1 Prozent). Die Krankenkassen geben einen Betrag in gleicher Höhe dazu.

Neu ist auch: Regelleistungsvolumina (RLV) und qualifikationsgebundene Zusatzvolumina (QZV) sind kein Muss mehr. Die KVen können stattdessen eigene Verteilungsmaßstäbe festlegen, die verhindern, dass Ärzte ihre Tätigkeit innerhalb des Versorgungsauftrags übermäßig ausweiten.

Als erste KV hat nun die KV Rheinland-Pfalz die RLV komplett abgeschafft und ist zu den Individualbudgets zurückgekehrt.

  • Beratung vor Regress: Nicht abgeschafft sind die Regresse bei Überschreitung der Richtgrößen von Arznei- und Heilmitteln. Wenn Vertragsärzte aber zum ersten Mal ihre Richtgrößen überschreiten, werden sie künftig nicht mehr gleich vom Regresshammer voll getroffen.

Sie haben nun einen Rechtsanspruch auf Beratung. Betroffen sind alle Richtgrößenprüfungen von 2012 an. Damit sind auch Verordnungen im Jahr 2010 erfasst, die jetzt geprüft werden.

An den Details wird noch gefeilt

  • Ambulante spezialfachärztliche Versorgung (ASV)
  • : Mit dem VStG wird an der Schnittstelle zwischen Praxis und Klinik für Patienten mit seltenen oder schweren Krankheiten eine neue Versorgungsebene eingezogen.

Ziel ist es, eine ambulante Versorgung durch Spezialisten zu gewährleisten - wobei Klinikärzte und niedergelassene Ärzte eng kooperieren sollen. Für hoch spezialisierte Fachärzte erschließt das neue Honorarquellen, da die Leistungen aus der ASV nicht budgetiert sind.

Spezialärztliche Leistungen sollen von niedergelassenen Ärzten wie von Krankenhäusern unter den gleichen Anforderungen an Qualität und Ausstattung erbracht werden. Abgerechnet wird in Euro und Cent direkt mit den Krankenkassen.

Was Fachärzte in Sachen spezialfachärztliche Versorgung genau dürfen, ist mit dem Inkrafttreten des VStG am 1. Januar noch nicht endgültig festgelegt. Die Details soll der Gemeinsame Bundesausschuss in den nächsten zwölf Monaten ausarbeiten. Frühestens 2013, wenn diese Richtlinie steht, wissen die einzelnen Ärzte, ob sie die Vorgaben erfüllen.

Aufgabe von Praxissitzen

Künftig haben die Zulassungsausschüsse mehr Kompetenzen bei Nachbesetzungsverfahren. Will ein Vertragsarzt in einem überversorgten Planungsbereich seine Praxis abgeben, so kann der Ausschuss seinen Antrag ablehnen, wenn die Versorgungslage eine Nachbesetzung nicht erfordert. In diesem Fall müsste die Kassenärztliche Vereinigung den Vertragsarzt in Höhe des Verkehrswertes seiner Praxis entschädigen. Interessant wird dabei die neue Bedarfsplanung werden, an der Krankenkassen, Kliniken, Ärzte und Bundesländer arbeiten. Die KBV hat ihre Vorschläge vor Kurzem auf den Tisch gelegt: Statt bisher 14, sollen künftig 34 Arztgruppen in die Bedarfsplanung einbezogen werden. Die sollen dann drei großen Planungsbereichen zugeordnet werden: der hausärztlichen Versorgung, der wohnortnahen fachärztlichen Versorgung (dazu gehören unter anderen Kinder-, Augen-, Frauenärzte, Chirurgen, Urologen, Orthopäden und Psychotherapeuten) und Sonderbereichen der fachärztlichen Versorgung (zum Beispiel Anästhesisten und Radiologen). (ava)

Der Leistungskatalog der ASV zählt vorläufig die im bisherigen Paragrafen 116 b des Sozialgesetzbuches V aufgeführten Krankheiten auf. Dazu gehören schwere Verlaufsformen rheumatologischer Erkrankungen sowie vor allem die Versorgung von an Krebs erkrankten Menschen.

  • Praxisverlegungen: Zu einem Spießrutenlaufen könnten künftig Praxisverlegungen werden. Umzugspläne von Vertragsärzten - etwa, um eine Kooperation einzugehen - können Zulassungsausschüsse künftig leichter als bisher einschränken, wenn sie durch den Umzug die Versorgung in Gefahr sehen.

Die Genehmigung liegt jetzt im Ermessen des Zulassungsausschusses. Wenn niedergelassene Ärzte beispielsweise eine Praxis in einem großflächigen Landkreis vom Dorf in die Kreisstadt verlegen möchten, könnte der Zulassungsausschuss sein Veto einlegen.

Größere Bedeutung als bisher bekommt daher die Kommunikation mit der zuständigen KV. Denn: Ist die Verlegung problematisch, könnte alternativ auch die Eröffnung einer Filiale in Betracht kommen.

  • Medizinische Versorgungszentren: Die Rolle der Ärzte in MVZ wird mit dem VStG gestärkt: Der Betrieb in Form einer Aktiengesellschaft ist künftig untersagt.

Erlaubt sind nur noch Personengesellschaften, die GmbH, die Genossenschaft und nichtärztliche Dialysezentren. Der Leiter muss selbst im MVZ tätig sein - als angestellter Arzt oder als Vertragsarzt.

Begründet werden die Einschränkungen damit, dass MVZ besonders in den kapitalintensiven Bereichen wie Labormedizin oder der operierenden Augenheilkunde häufig von Investoren gegründet wurden, die keinen fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung haben.

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