Schneechaos im Süden

Wie Hausarzt Dr. Köhler dem Schnee trotzt

Der massive Schneefall im bayerischen Alpenraum stellt auch die medizinische Versorgung vor Herausforderungen. Einer, der dies hautnah erlebt, ist Dr. Michael Köhler. Der Allgemeinarzt betreibt bei Berchtesgaden auf 830 Metern die wohl höchstgelegene Arztpraxis Deutschlands.

Thorsten SchüllerVon Thorsten Schüller Veröffentlicht:
Mehr als mannshoch türmt sich der Schnee in Berchtesgaden Buchenhöhe, das weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten ist. Im Bild sind ein Arzt und drei Patienten des Asthmazentrums vor Ort.

Mehr als mannshoch türmt sich der Schnee in Berchtesgaden Buchenhöhe, das weitgehend von der Außenwelt abgeschnitten ist. Im Bild sind ein Arzt und drei Patienten des Asthmazentrums vor Ort.

© dpa

BERCHTESGADEN. Dr. Michael Köhlers Praxis liegt an der Rossfeldstraße 22 in Oberau bei Berchtesgaden. Meereshöhe: 830 Meter.

„Ich betreibe seit 1978 Deutschlands höchstgelegene Allgemeinarztpraxis“, sagt der 71-Jährige im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Etwa 800 Patienten betreut er in seinem Einzugsbereich, der aus hoch gelegenen Siedlungen besteht.

Dass Schnee vor seiner Praxis liegt, ist nicht ungewöhnlich. Die Mengen, die in den vergangenen Tagen heruntergekommen sind, gehen allerdings weit über das normale Maß hinaus. Im südlichen Landkreis Berchtesgaden gilt der Katastrophenfall.

Auf den Dächern liegen enorme Schneelasten, umgestürzte Bäume versperren Straßen, Lawinen gehen ab, Ortsteile sind von der Außenwelt abgeschnitten. „Schnee erdrückt Berchtesgaden“, titelt die lokale Zeitung.

Allradantrieb hilft im Schnee

Und mittendrin Dr. Köhler, der trotz allem seinen Praxisbetrieb aufrecht erhält und versucht, seine Patienten zu versorgen. Gut, „Hausbesuche sind etwas problematisch“, sagt er mit einem Schuss trockenen Humor. So ist die Zufahrtsstraße zum 350 Einwohner zählenden Ort Buchenhöhe, der zu seinem Bereich zählt, offiziell gesperrt – so wie viele andere Wege und Straßen auch.

Köhler lässt sich davon nicht immer abhalten; manchmal nimmt er mit seinem allradgetriebenen Subaru auf eigene Gefahr auch solche Wege unter die Räder, um zu seinen Patienten zu kommen. „Ich mache das seit 40 Jahren“, sagt er. Daraus spricht viel Erfahrung. Lawinen nehmen darauf allerdings keine Rücksicht.

Die aktuellen Schneemassen stellen die Ärzte nicht nur im Berchtesgadener Land, sondern in allen betroffenen Alpenregionen vor Herausforderungen. Am Wochenende galt auch für die Landkreise Traunstein, Miesbach, Bad Tölz-Wolfratshausen und Garmisch-Partenkirchen der Katastrophenfall.

Die extreme Wetterlage beschäftigt nach Angaben des Bayerischen Roten Kreuzes hunderte pflegebedürftige ältere Menschen, die zu Hause auf Hilfe angewiesen sind oder einfach nur auf ihr Essen auf Rädern warten. Teilweise hätten Bauern mit Traktoren Pflegekräfte unterstützt, damit diese zu alten oder kranken Menschen gelangen.

Rettungswagen im Dorfzentrum

Das „Traunsteiner Tagblatt“ berichtet, dass aufgrund der schwierigen Erreichbarkeit von Reit im Winkl das Rote Kreuz mehr Rettungsfahrzeuge vorhält und zusätzlich eine Anlaufstelle für medizinische Versorgungen eingerichtet hat.

Und in der südlich von Bad Tölz gelegenen Jachenau, die seit Tagen nicht oder nur schwer erreichbar ist, hat das Rote Kreuz einen Rettungswagen im Dorfzentrum mit zwei Sanitätern postiert. Teilweise wird es langsam eng auch für Gesundheitseinrichtungen.

Das Asthmazentrum in Buchenhöhe mit rund 100 chronisch kranken Kindern und Jugendlichen etwa läuft seit einer Woche im Notbetrieb; Mitarbeiter müssen von der Bundeswehr gebracht und abgeholt werden.

Wenn dies eingestellt werde, werde es schwierig, sagt Leiter Christian Hinterbrandner. „Worst-Case-Szenario ist, dass wir Anfang der Woche unsere Jugendlichen nach Hause senden und den Betrieb komplett einstellen.“

Nachbarn helfen sich gegenseitig

Trotz aller Schneemassen scheint die medizinische Versorgung in den betroffenen Regionen weiterhin sichergestellt zu sein, wie von Verantwortlichen zu hören ist. Allgemeinarzt Köhler berichtet zudem, dass seine Patienten recht hart im Nehmen seien – „die arbeiten sich auch bei viel Schnee bis zu meiner Praxis vor“.

Wer selbst nicht kommen kann, werde von Nachbarn gefahren. „Als es vor einigen Tagen besonders stark schneite, sagte ich morgens zu meinen Kollegen: Heute kommen bestimmt keine Patienten. Am Ende war die Praxis voll.“

Wenn es ganz schwierig wird, übernehmen Bundeswehr, Bergwacht oder das Technische Hilfswerk mit ihren geländegängigen Fahrzeugen den Transport von Patienten.

Für Notfälle gibt es zudem den Hubschrauber, weiß Köhler, der als Leitender Arzt auch in einem Kurhotel im nahegelegenen Bad Dürrnberg tätig ist.

Patienten, die nicht mobil genug sind, können sich in Berchtesgaden zudem ihre Medikamente von Apotheken nach Hause liefern lassen. Die entsprechenden Rezepte faxt Köhler an die Pharmazien, die Originale steckt er in Freiumschläge. Bis zu 20 Prozent seiner Patienten nutzen diese Möglichkeit.

Lage könnte sich erneut zuspitzen

Am Sonntag setzte in den bayerischen Alpen neuer Niederschlag ein, in niedrigeren Lagen regnete es. Damit könnte sich die Lage erneut zuspitzen.

Doch mehr als die wetterbedingten Herausforderungen treiben Köhler Sorgen um die Zukunft seiner 180 Quadratmeter großen Praxis um: „Ich werde demnächst 72, seit fünf Jahren suche ich einen Nachfolger.“ Es gäbe gute Argumente – eine der schönsten Regionen Deutschlands, die Nähe zu Salzburg, ein fester Patientenstamm.

Sogar einen kleinen Operationsraum besitzt der Allgemeinarzt. Doch bislang wollte niemand die höchst gelegene Arztpraxis Deutschlands übernehmen. (mit Material von dpa)

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