Ärzte sind besser als ihr gegenwärtiger Ruf
Der "gierige und korrupte Arzt" als Aufregerthema fürs Sommerloch: So kommentiert die KV Hessen die Berichte regionaler Medien über Ermittlungen gegen Ärzte. Auch aus Sicht von Staatsanwalt Alexander Badle gibt es Korrekturbedarf.
Veröffentlicht:Auslöser der Schlagzeilen war ein Vortrag über Betrug im Gesundheitswesen, den Badle im Juni an der Uni Gießen vor Fachpublikum gehalten hatte. Vertreter der Lokalpresse griffen das Thema auf, es folgten die Nachrichtenagentur dpa und Fernsehsender. Der Jurist hat bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main die "Ermittlungsgruppe Betrug und Korruption im Gesundheitswesen" aufgebaut und hat auch schon in der KV Hessen vor niedergelassenen Ärzten über das Thema referiert.
KV Hessen und Staatsanwalt kooperieren vorbildlich
Laut Badle wurde in den Berichten teilweise falsch wiedergegeben, was er über Defizite bei der Aufdeckung einschlägiger Straftaten gesagt hatte. Dafür fehle immer noch eine bundesweite Infrastruktur, auch hätten viele Bundesländer hier noch Defizite: "Die tun gar nichts." Für Hessen gelte dies gerade nicht, betont der Ermittler. Vielmehr sei die Kooperation von KV und Staatsanwaltschaft mittlerweile vorbildlich. Bei Hessens Kassenzahnärztlicher Vereinigung aber sei dies ganz und gar nicht der Fall.
Dabei sind die KVen durch Paragraf 81 a Sozialgesetzbuch V zur Zusammenarbeit gesetzlich verpflichtet. Dort heißt es: "Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Kassenärztlichen Bundesvereinigung sollen die Staatsanwaltschaft unverzüglich unterrichten, wenn die Prüfung ergibt, dass ein Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen mit nicht nur geringfügiger Bedeutung für die gesetzliche Krankenversicherung bestehen könnte." Das funktioniert nach Badles Worten in Hessen heute sehr gut und ist ein Grund dafür, dass die Zahl der Ermittlungsfälle steigt. So sieht es auch die KV: Durch die exzellente Kooperation zwischen KV, Kassen und Staatsanwaltschaft falle die Dunkelziffer in Hessen wesentlich geringer aus als anderswo.
Nach rund 220 Verfahren im Gesamtjahr 2008 verzeichnet die Ermittlungsgruppe in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits etwa 350 Verdachtsfälle. Ungefähr 90 Prozent davon betreffen Ärzte. Die KV weist darauf hin, dass dies gemessen an den etwa 11 500 niedergelassenen Ärzten und Psychotherapeuten in Hessen und gemessen an den 37,5 Millionen Behandlungsfällen (des Jahres 2008) eine verschwindend geringe Zahl ist. Aus der Perspektive der Staatsanwaltschaft hingegen "ist das schon eine ganze Menge", so Badle, denn diese Verdachtsfälle, die teilweise sehr komplex seien, bedeuteten viel Arbeit für die Justiz.
Zeiten der Bagatellschäden sind langsam vorbei
Anders als früher handle es sich nicht mehr um viele kleine oder geringfügige Verstöße, die sich rasch beilegen lassen, es seien vielmehr zunehmend gewichtige Fälle darunter, die voraussichtlich zu einem Strafbefehl oder gar einer Anklage führen. Als Beispiel nannte Badle Luftabrechnungen mit Versichertenkarten oder Luftrezepte, mit denen Ärzte und Apotheker, manchmal gemeinsam mit Patienten, die Krankenkassen schädigten. In einem Fall habe sich ein Arzt jahrelang zu Lasten der Krankenkasse, bei der die Kinder seiner Lebensgefährtin versichert sind, mit Medikamenten gegen ADHS versorgt, die er selbst einnahm.
Wer sich derart im Gesundheitssystem bediene, womöglich auch noch ganz ohne Unrechtsbewusstsein, der müsse mit wirtschaftlichen, berufsrechtlichen und strafrechtlichen Folgen rechnen, so Badle. Allerdings sehe die Strafverfolgungsbehörde bei jedem Fall genau auf die Person, die dahinterstehe - "einen Arzt kann man nicht mit einem kriminellen Drogenhändler gleichsetzen".
Überwiegend seien es Ersttäter, bei denen ein hartes Vorgehen der Justiz unangemessen wäre. Häufig würden sie durch extremen wirtschaftlichen Druck zu ihren Verfehlungen getrieben.
KVen, die ihren gesetzlichen Auftrag ernst nehmen und an der Aufdeckung von Straftaten mitwirken, leisten seiner Ansicht nach einen wichtigen Dienst an den Ärzten und tragen dazu bei, dass sie ihr hohes Ansehen in der Gesellschaft behalten. Für eine Pauschalverurteilung des Berufsstands sieht Staatsanwalt Badle überhaupt keinen Grund: "Mein Vertrauen in die Ärzte ist nach wie vor ungebrochen."