Apotheker besticht Arzt? Mietkosten im Visier

Können Vertragsärzte in Zukunft leichter als bisher wegen Bestechung belangt werden? Diese Frage stellt sich nach einem Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig. In Frage gestellt wird aber auch, wie Ärzte und Apotheker in Zukunft sauber zusammenarbeiten können.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:
Ein Ärztehaus in der Nähe oder sogar im Haus ist für Apotheker meistens eine gute Grundlage für die wirtschaftliche Existenz. © Reiner Zensen / imago

Ein Ärztehaus in der Nähe oder sogar im Haus ist für Apotheker meistens eine gute Grundlage für die wirtschaftliche Existenz. © Reiner Zensen / imago

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BRAUNSCHWEIG. Eine juristische Neubewertung des Status von Kassenärzten in einem aktuellen Gerichtsbeschluss könnte manchen Arzt in Bedrängnis bringen. Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig sieht Ärzte als Beauftragte der Krankenkassen. Als solche unterlägen sie dem Korruptionsparagrafen 299 des Strafgesetzbuches (StGB). Das heißt für Ärzte: Sie können unter Umständen wegen Vorteilsnahme und/oder Vorteilsgewährung nach Strafgesetzbuch bestraft werden. Bisher ist das nur schwer möglich.

"Der Beschluss ist ein Erdbeben", sagte Hildegard Wolff, Leiterin der Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig, zur "Ärzte Zeitung". "Erstmals wurde auf der hohen juristischen Ebene eines OLG diese Neubewertung vorgenommen." Der Beschluss besagt, Ärzte seien aufgrund der ihnen durch Gesetz zugewiesenen Aufgaben verpflichtet, im Sinne der Krankenkassen zu handeln und müssten die Vermögensinteressen der Kassen wahrnehmen. In einem aktuellen Fall in Braunschweig seien die Interessen der Kassen in der Tat verletzt, so die Staatsanwaltschaft.

2000 Euro Mietzuschuss im Monat für den Arzt?

Was ist passiert? Ein Braunschweiger Apotheker habe einem Arzt mit 187 000 DM (also vor 2002) den Umbau seiner Praxis finanziert und später monatlich an die 2000 Euro Mietkostenzuschuss überwiesen, so Wolff. Im Gegenzug habe der Arzt den Apotheker unter anderem bei den Verschreibungen von Zytostatika bevorzugt, meinen die Staatsanwälte. "Seine Zahlungen hat der Apotheker auch noch beim Finanzamt angegeben", sagte Wolff. Staatsanwalt André Schmidt aus Braunschweig hatte die Sache ins Rollen gebracht, und er wollte nun vor dem Landgericht Anklage wegen Korruption erheben.

Doch das Landgericht hat das Verfahren zunächst gar nicht erst eröffnet. Denn die Richter sehen den Kassenarzt eben nicht als Beauftragten der Kassen und infolgedessen juristisch gesehen auch nicht als bestechlich. Um die Rechtslage zu klären, rief die Staatsanwaltschaft das OLG an, das jenen umwälzenden Beschluss gefasst hat. Nun muss sich das Landgericht erneut mit der Sache befassen. Wolff: "Auch wenn das Landgericht kein Urteil verhängen sollte, sondern nur Geldbußen, ist doch die lange diskutierte Frage auf OLG-Ebene entschieden - und das ist der Punkt."

In Zukunft stehe den Staatsanwaltschaften in ähnlichen Fällen "die ganze Palette der Strafverfolgung zur Verfügung". Es könnte häufiger als bisher zu Anklageerhebungen kommen. "Es gibt deutschlandweit viele solcher Fälle", hieß es. So erscheine auch die Zusammenarbeit viele Ärzte mit Pharmaherstellern in einem neuen Licht.

Die KV Niedersachsen reagierte prompt auf die Signale aus Braunschweig: "Bisher haben wir unsere Mitglieder immer als Beauftragte der Patienten gesehen", sagte der Vorsitzende der KVN, Eberhard Gramsch. "Die KVN geht zunächst davon aus, dass Paragraf 299 StGB nicht auf die Mitglieder anwendbar ist." Ein Kassenarzt handele für seine Praxis und nicht für die Kassen. "Insbesondere die vergangenen Verfahren gegen Pharmaunternehmen haben gezeigt, dass möglicherweise eine Strafbarkeitslücke im Gesetz besteht. Es ist aber Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, ob er diese schließen möchte oder bestehen lassen will", so Gramsch.

Dr. Carsten Scholz, Justiziar der Ärztekammer Niedersachsen, kommentierte: "Der OLG-Beschluss überzeugt mich nicht. Der Paragraf 299 StGB ist geschaffen worden, um unlauteren Wettbewerb von Angestellten zu verbieten. Aber Ärzte sind keine Angestellten." Scholz warnt auch vor einer vorschnellen Kriminalisierung einer Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Apothekern: "Wenn der Apotheker ein Haus für seine Apotheke baut und oben Ärzte mit geringer Miete praktizieren, dann ist das für mich eher ein Geschäftsmodell", sagt Scholz. Also keine Bestechung.

Die AOK hofft, dass es zu einem Urteil kommt

Dennoch habe er "Verständnis für die Staatsanwaltschaft. Es wird ein Dunkelfeld aufgehellt." Die Apothekerkammer Niedersachsen äußerte sich zunächst nicht. "Uns liegt der Beschluss noch nicht vor", hieß es.

Die Krankenkassen indessen reagierten ausgesprochen zustimmend. "Wir teilen die Rechtsauffassung des OLG und hoffen, dass es vor dem Landgericht zu einem Urteil kommt", sagte Klaus Altmann, Sprecher der AOK. "Die Frage, ob der Paragraf 299 StGB auch für Ärzte gilt, ist seit Jahr und Tag umstritten und wir hoffen auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes." Tatsächlich will die Staatsanwaltschaft Braunschweig die Sache bis vor den BGH treiben - und zwar per Revision des Landgericht-Urteils, egal wie es ausfallen würde. "Das ist unsere Aufgabe", sagte Wolff.

Um Anklage zu erheben, werde die Staatsanwaltschaft Hausdurchsuchungen bei dem Braunschweiger Arzt und dem Apotheker ansetzen, "unter Umständen werden wir auch Patienten befragen", erklärte Wolff.

Selbst wenn im vorliegenden Fall kein Urteil gesprochen wird, steht die Rechtsprechung für Ärzte in Sachen Bestechlichkeit möglicherweise vor einer Wende. "Es ist nun nur noch eine Frage der Zeit, bis ein Arzt nach Paragraf 299 StGB verurteilt wird," so ein Kassenjurist. Die Staatsanwaltschaft werde in jedem Fall in Revision gehen und den BGH einschalten. Würde er die Haltung des OLG teilen, wären KVen, Gerichte, Staatsanwälte, Kassen und Kammern an die Entscheidung gebunden.

Die AOK Niedersachsen hofft darauf. Beim BGH arbeitet auch Richter Professor Thomas Fischer, hieß es. Der habe in aktuellen Kommentaren Position bezogen, der Paragraf 299 StGB gelte auch für Ärzte. "Dann", so ein Kassenjurist zur "Ärzte Zeitung", "wäre jeder finanzielle Kickback über 30 Euro für Ärzte ein Problem."

Lesen Sie dazu auch: Sind Vertragsärzte nur "Beauftragte der Kassen"? Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Ärzte in der Grauzone

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