"Man kann Vertragsärzte nicht darauf verweisen, dass es Privatpatienten gibt"

Können Ärzte von GKV-Einnahmen allein nicht leben, ist das eventuell ein Fall für das Bundesverfassungsgericht.

Ilse SchlingensiepenVon Ilse Schlingensiepen Veröffentlicht:
Ist es ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht, wenn die Einnahmen allein aus vertragsärztlicher Tätigkeit nachweislich nicht ausreichen?

Ist es ein Fall fürs Bundesverfassungsgericht, wenn die Einnahmen allein aus vertragsärztlicher Tätigkeit nachweislich nicht ausreichen?

© imago

DÜSSELDORF. Wenn Vertragsärzte allein von der Versorgung der Kassenpatienten nicht leben können, könnte das gegen die Verfassung verstoßen. Ärzte müssten aber nachprüfbar belegen können, dass dies tatsächlich der Fall ist. Darauf hat der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht Professor Udo Steiner aufmerksam gemacht.

"Man kann den niedergelassenen Arzt, der von dem nicht leben kann, was ihm die Kasse an Vergütung zuweist, nicht darauf verweisen, dass es Privatpatienten gibt", sagte Steiner bei der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein.

Auch andere Möglichkeiten des Erwerbseinkommens wie Fachvorträge dürfen nach seiner Einschätzung für die wirtschaftliche Existenz des Vertragsarztes keine Rolle spielen. Reichen die Einnahmen aus der vertragsärztlichen Tätigkeit nachweisbar nicht aus, sieht der Jurist eine Kollision zwischen dem Sinn der gesetzlichen Krankenversicherung auf der einen und dem Arzt als freiem Beruf auf der anderen Seite. "Da kann man auch verfassungsrechtlich argumentieren."

Allerdings sollten Ärzte nicht auf das Verfassungsrecht und das Bundesverfassungsgericht hoffen, wenn sie eine angemessene Honorierung der ärztlichen Leistungen durchsetzen wollen, sagte er. Im allgemeinen Wirtschaftssystem bestimme der Markt den Preis für eine hochwertige Dienstleistung.

 "Da sich aber der niedergelassene Kassenarzt in einem hoch regulierten Markt mit administrierten Vergütungen bewegt, entscheiden andere Faktoren und nicht zuletzt die Politik." Die Rechtsprechung stelle klar, dass die angemessene Vergütung nicht zu verwechseln sei mit der Sicherheit eines angemessenen Einkommens aus der Tätigkeit als Vertragsarzt, sagte Steiner.

Auch das Gesundheitswesen sei keine grundrechtsfreie Zone, betonte er. "Die Grundrechte halten den Gesetzgeber zu einer grundsätzlich freiheitlichen Gestaltung des Gesundheitswesens an." Er verwies auf die Niederlassungsfreiheit, die freie Wahl des Arztes und die Therapiefreiheit. "In einem grundrechtlich verfassten Gemeinwesen kann Gesundheitspolitik kein Tennismatch sein, bei dem immer nur der Gesetzgeber das Aufschlagsrecht hat."

Den Freiheitsrechten der Gesundheitsberufe sei allerdings ein kaum zu überschätzendes Gegengewicht erwachsen: die Erfordernis, eine funktions- und leistungsfähige gesetzliche Krankenversicherung zu erhalten. Mit Blick auf die finanzielle Stabilität des Systems habe das Bundesverfassungsgericht in den vergangenen Jahren eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen gebilligt, die Grundrechte beschränken.

 Zwar praktiziere das höchste Gericht bei Kassenärzten kein Sonderrecht, auch bei ihnen gelte die grundrechtliche Berufsfreiheit, sagte Steiner.

Das Bundesverfassungsgericht lasse es aber im Grundsatz zu, dass der Kassenarzt für den sozialstaatlichen Schutz der Bevölkerung im Krankheitsfall ganz besonders in die Pflicht genommen werde.

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