Gastbeitrag

Kooperation nur zum Schein ist ohne Zukunft

Das Versorgungsstrukturgesetz soll der Zuweisung gegen Entgelt innerhalb überörtlicher Berufsausübungsgemeinschaften die Grundlage entziehen - und damit bei Kooperationen die Spreu vom Weizen trennen helfen.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Bei der Zusammenarbeit müssen Ärzte immer den heiklen Aspekt der Zuweisung gegen Entgelt im Blick behalten.

Bei der Zusammenarbeit müssen Ärzte immer den heiklen Aspekt der Zuweisung gegen Entgelt im Blick behalten.

© klaro

BONN. Seit die überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft vertrags- und privatärztlich erlaubt ist, sind viele solcher Gemeinschaftspraxen entstanden, die der betriebswirtschaftlich sinnvollen Ressourcenteilung und einer Verbesserung der Versorgungsbereitschaft und Behandlungsqualität dienen.

Es gibt aber auch Fehlentwicklungen. Zum Teil wurden solche Praxen gegründet, um RLV-Zuschläge zu erhalten, zum Teil stand die "Zuweiserbindung gegen Gewinnbeteiligung" im Vordergrund. Der erste Aspekt wurde durch Neuregelung der Zuschläge über den Kooperationsgrad beseitigt. Den "Zuweiserbindungsmodellen" will der Entwurf zum Versorgungsstrukturgesetz (VSG) ein Ende bereiten.

Klare gesetzliche Vorgaben fehlten weitestgehend

Überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften wurden in den Jahren 2005 und 2006 als ideale Kooperationsformen beschrieben, um "Zuweiser einzubinden und Patientenströme zu steuern".

Es entstanden sowohl fachgleiche als auch fachübergreifende überörtliche Gemeinschaftspraxen, bei denen die "Zuweiserbindung" und die Teilhabe an Gewinnen im Vordergrund standen, die ein anderer Arzt der Gesellschaft - auf Veranlassung des "Zuweisers" - durch seine Leistungen erwirtschaftet.

Viele Ärzte wollten sich an solchen Modellen keinesfalls beteiligen und kritisierten diese. Klare gesetzliche Vorgaben oder Auslegungshinweise durch die Ärztekammern und Kassenärztlichen Vereinigungen fehlten jedoch weitestgehend.

Manchen Praxen droht der Zulassungsentzug

Dies ändert sich mit dem Versorgungsstrukturgesetz. Einige überörtliche Gemeinschaftspraxen werden umdenken oder sich auflösen müssen, wenn die Gesellschafter sich nicht dem Risiko von Disziplinar- oder Zulassungsentzugsverfahren aussetzen möchten.

GKV-Versorgungsstrukturgesetz (Entwurf)

Paragraf 73, Absatz 7, SGB V: Es ist Vertragsärzten nicht gestattet, für die Zuweisung von Versicherten ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile sich versprechen oder sich gewähren zu lassen oder selbst zu versprechen oder zu gewähren.

Paragraf 128 Absatz 2 Satz 3 SGB V: Unzulässige Zuwendungen ... sind auch ... die Beteiligung an den Kosten hierfür sowie Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen können.

Mit dem VSG wird Paragraf 73 SGB V um eine Regelung ergänzt: Vertragsärzten ist es ausdrücklich nicht gestattet, sich für die Zuweisung von Versicherten ein Entgelt oder sonstige wirtschaftliche Vorteile zusichern oder gewähren zu lassen.

Zu solchen Vorteilen zählen laut Gesetzestext auch "Einkünfte aus Beteiligungen an Unternehmen von Leistungserbringern, die Vertragsärzte durch ihr Verordnungs- oder Zuweisungsverhalten selbst maßgeblich beeinflussen können".

Paragraf 33 der Zulassungsverordnung für Ärzte wird darüber hinaus um eine Regelung ergänzt, wonach eine Umgehung des Verbots der Zuweisung gegen Entgelt insbesondere dann vorliegt, wenn "der Gewinn aus gemeinsamer Berufsausübung ohne Grund in einer Weise verteilt wird, die nicht dem Anteil der jeweils persönlich erbrachten Leistungen entspricht".

Hat der zuweisende Arzt einen unzulässigen Vorteil?

Um dies zu werten, muss man zunächst wissen, dass der Begriff der Zuweisung nach der Rechtsprechung weit zu verstehen ist. Hierunter fällt jede Verweisung oder Empfehlung.

Wenn sich also eine operativ tätige Praxis mit zahlreichen allein konservativ tätigen Praxen desselben Fachgebietes zu einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis zusammenschließt und dies auf dem "Geschäftsmodell" beruht, dass die konservativ tätigen Kollegen im Falle einer Op-Indikation den operativ tätigen "Mitgesellschafter" empfehlen, so handelt es sich rechtlich um eine Zuweisung.

Entscheidend ist nun, ob der zuweisende Arzt aufgrund der Zuweisung einen unzulässigen wirtschaftlichen Vorteil erhält. Ein solcher ist nach den Regelungen des Versorgungsstrukturgesetzes auch der Gewinnanteil aus der Beteiligung an der Gemeinschaftspraxis, wenn dieser nicht dem Anteil der persönlich erbrachten Leistungen entspricht.

Abweichendes gilt nur, wenn für die nicht leistungsbezogene Gewinnverteilung sachliche, überzeugende Gründe vorliegen.

Kein "ideeller Hintergrund" sonder eher "Patientensteuerung"

In dem Beispiel der konservativoperativen überörtlichen Gemeinschaftspraxis müsste also dargelegt werden, weshalb der konservativ tätige Arzt an den Gewinnen aus der operativen Tätigkeit partizipiert. Das Landgericht Mosbach hat in einem Urteil vom Ende 2010 festgestellt, dass eine Gewinnverteilung zulässig ist, wonach ein Prozent des Gewinns der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft nach Köpfen, die restlichen 99 Prozent aber nach dem Anteil der selbst erbrachten Leistungen verteilt werden.

Diese einprozentige Beteiligung habe einen "ideellen Hintergrund", eine Beeinflussung des Zuweisungsverhaltens sei nicht zu erwarten. Wären 10, 20 oder gar mehr Prozent des Gewinnes aus der Tätigkeit des empfohlenen Arztes dem zuweisenden Arzt zugeflossen, so wird man aber nicht mehr von einem "ideellen Hintergrund" sondern eher von einer wirtschaftlich motivierten "Patientensteuerung" sprechen müssen.

Die Risiken rechtswidriger Kooperationen sind beträchtlich, die Argumente für ihre Rechtfertigung begrenzt. Zunächst ist es unerheblich, ob der Zulassungsausschuss den Vertrag der überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft genehmigt hat.

Grundsätze für "Scheingesellschafter" lassen sich übertragen

Das Bundessozialgericht (BSG) hat bereits im Sommer 2011 festgestellt, dass die Genehmigung durch den Zulassungsausschuss einer Honorarrückforderung der Kassenärztlichen Vereinigung nicht entgegensteht.

Diese vom BSG für den "Scheingesellschafter" aufgestellten Grundsätze lassen sich auf die "Scheingesellschaft" übertragen. Man wird sich also nur noch fragen müssen, warum die Maßstäbe bei einer überörtlichen Gemeinschaftspraxis - vermeintlich - strenger sind als bei einer standortgleichen Gemeinschaftspraxis.

Die Zusammenarbeit operativ und konservativ tätiger Ärzte an einem Vertragsarztsitz oder auch die radiologisch-strahlentherapeutisch-nuklearmedizinische Gemeinschaftspraxis, bei der es sicher wechselseitige Synergien zwischen den Fächern gibt, wird nämlich bisher nicht in gleicher Weise in Frage gestellt.

Es kommt darauf an, was vor der Kooperation vereinbart wurde

Hierfür existieren aber gute Gründe. Es kommt darauf an, ob die "Zuweisung gegen Entgelt" maßgeblicher Inhalt der verabredeten Kooperation ist oder ob sich der Partizipationseffekt als Annex zu der primär auf anderen Motivationen beruhenden Zusammenarbeit ergibt.

Teilen sich Ärzte an einem Standort Raum und Personal, entscheiden sie über Gerätebeschaffungen gemeinsam und vereinbaren sie zum Beispiel, dass beim Tod eines Gesellschafters die anderen eine Abfindung schulden, so dürfte der Schwerpunkt dieser gemeinsamen Berufsausübung die wirtschaftlich optimierte Ressourcennutzung und die "Sozialisierung" der typischen Lebensrisiken eines Freiberuflers sein.

Dies rechtfertigt die nicht allein oder überwiegend leistungsbezogene Gewinnverteilung, die wirtschaftlichen Vorteile sind sozusagen Annex der gesellschaftsrechtlichen Verbindung, nicht deren überwiegendes oder gar alleiniges Ziel.

Eine Liberalisierung ist nicht in Sicht

Im Vertragsarztrecht wird vieles liberalisiert, für das Verbot der Zuweisung gegen Entgelt gilt dies nicht. Durch die Übernahme dieses bisher berufsrechtlichen Verbotes in das SGB V werden sich die Spreu der maßgeblich vom Gedanken der "Zuweiserbindung" motivierten Kooperationen vom Weizen der zulässigen überörtlichen Gemeinschaftspraxen, die durchaus existieren, trennen.

Das Risiko, die überörtliche Gemeinschaftspraxis als "Mäntelchen" für Kick-back-Zahlungen zu benutzen, kann kein Arzt ernsthaft eingehen. Die erhofften wirtschaftlichen Vorteile sind obsolet, wenn das Honorar erst zurückgefordert wird. Was bleibt, sind disziplinar- oder zulassungsrechtliche Verfahren.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizinrecht und Partner der Anwaltskanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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