Kunstfehler: Tote sorgen für Streit

Immer mehr Menschen sterben durch Ärztefehler, sagt die Bundesregierung. Doch das ist nur die Statistik. Experten bezweifeln sie - und nennen die Zahlen "reißerisch".

Von Sunna Gieseke Veröffentlicht:
Typisch: Schere im Brustkorb.

Typisch: Schere im Brustkorb.

© Lukasz Panek / fotolia.com

BERLIN. Nur die Spitze des Eisbergs oder ein Zeichen eines besseren Fehlermeldesystems der Ärzte?

Die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine parlamentarische Anfrage der Grünen, wie viele Menschen jedes Jahr durch Ärztefehler sterben, hat die Gemüter vieler Gesundheitspolitiker erhitzt.

Die Regierung erklärte, die offizielle Zahl der Toten durch Behandlungsfehler oder mangelhafte Medizinprodukte sei innerhalb eines Jahres um mehre hundert angestiegen. 2010 waren es danach 1634 Patienten, ein Jahr zuvor 1189.

Die Zahl der durch Ärztefehler verursachten Todesfälle stieg den vorgelegten Zahlen zufolge von 551 auf 944.

Häufigste Todesursachen seien mangelnde Desinfektion, Abstoßreaktionen auf Transplantationen und Komplikationen bei der Implantation eines künstlichen Gelenks.

61 Patienten seien gestorben, weil Operationswunden schlecht vernäht worden seien. Außerdem kamen dem Bericht zufolge 47 Menschen durch versehentliche oder unbeabsichtigte Schnitte bei Operationen ums Leben.

BÄK: Reißerische Zahlen

Die Zahlen liegen unter den Schätzungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. Diese geht von jährlich 17.000 Todesfällen durch ärztliche Behandlungsfehler aus.

Die Bundesärztekammer (BÄK) nannte die Meldung "reißerisch". Nicht jeder Todesfall ließe sich auf einen Arztfehler zurückführen.

"Jeder Mensch, der durch den Fehler eines Arztes stirbt, ist einer zu viel", sagte BÄK-Chef Dr. Frank Ulrich Montgomery am Donnerstag in Berlin. Aber nicht jede Komplikation bei einer Implantation könne Ärzten angelastet werden.

Vor allem dann nicht, wenn es sich zwar um TÜV-geprüfte, aber fehlerhafte Produkte handelt.

Aus Sicht der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) sind die offiziellen Zahlen "unrealistisch". In der Statistik würden viele Todesfälle gar nicht erfasst, sagte vzbv-Gesundheitsexpertin Ilona Köster-Steinbach der "Ärzte Zeitung". Es müsse daher nach dem Tod eines Patienten schärfere Kontrollen geben.

Warnung vor Stigma

Auch Grünen-Politikerin Maria Klein-Schmeink sprach bei den Ärztefehlern von einer Dunkelziffer. Bei den Zahlen handle es sich lediglich um die "eingestandenen Behandlungsfehler", sagte Klein-Schmeink der "Ärzte Zeitung".

Die schwarz-gelbe Koalition müsse ein Meldesystem für Ärztefehler einführen, forderte sie. Darüber hinaus sei ein umfassendes Monitoring zu den Behandlungsfehlern notwendig.

Dabei gehe es nicht darum Ärzte und Kliniken an den Pranger zu stellen, sondern eine Kultur der Fehlervermeidung in der Breite zu etablieren und auszubauen, so Klein-Schmeink.

Das Bundesgesundheitsministerium warnte davor, Ärzte zu stigmatisieren. Der Anstieg der Ärztefehler könnte bereits ein Zeichen für ein besseres Fehlermanagement sein, sagte ein BMG-Sprecher.

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