Urteil

Pflegebedürftige müssen Unannehmlichkeiten hinnehmen

Statt einer teuren Pflegekraft, die ihr beim Toilettengang hilft, muss eine 70-jährige Britin nachts nun mit Inkontinenzkissen auskommen. Grund: Für den Steuerzahler können Staaten so Geld sparen, hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden.

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STRASSBURG. Eine heute 70-jährige Britin muss nachts in Inkontinenzkissen pinkeln, um dem Staat teure Pflegekräfte zu ersparen. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg am Dienstag entschieden.

Danach dürfen Staaten Pflegebedürftigen auch gewisse Unannehmlichkeiten zumuten, um dem Steuerzahler oder der Solidargemeinschaft Geld zu sparen.

Die Klägerin aus London ist in ihrer Mobilität erheblich eingeschränkt. Alleine kann sie weder zur Toilette gehen noch einen Toilettensitz besteigen. Damit sie auch nachts ihre Notdurft verrichten kann, hatte sie früher pflegerische Unterstützung bekommen.

2008 und dann nochmals endgültig 2011 wurde diese Leistung widerrufen. Statt der Pflegekraft stellten die britischen Sozialbehörden nun nur noch Inkontinenzkissen zur Verfügung. Nachdem ihre Klage in Großbritannien ohne Erfolg blieb, rief die Frau den EGMR an.

Klägerin erhält geringe Entschädigung

Der gab ihr nur für das erste Jahr Recht und sprach ihr deswegen eine Entschädigung von 1000 Euro zu. Großbritannien habe eingeräumt, dass der Widerruf der Pflegeleistung zunächst nicht in Übereinstimmung mit dem britischen Recht stand.

Generell muss die Frau die Entscheidung der Sozialbehörden aber hinnehmen, urteilte der EGMR. Zur Begründung betonten die Straßburger Richter, die Mittel für soziale Ausgaben seien notwendig begrenzt. Die Staaten hätten einen weiten Spielraum, wie sie diese Mittel einsetzen wollen.

Zwar sei die Klägerin in ihrem Recht auf Privatleben betroffen, weil sie Inkontinenzkissen verwenden muss, obwohl sie gar nicht inkontinent ist.

In Abwägung mit den wirtschaftlichen Interessen von Staat und Gesellschaft müsse sie ihre "sehr unglückliche Situation" aber hinnehmen. In einer demokratischen Gesellschaft seien derartige Eingriffe unvermeidbar. (mwo)

Az.: 4241/12

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