rtCGM-Urteil

Auch zum Schutz vor Unterzuckerung

Ein Sozialgericht bestätigt den Anspruch eines schwerkranken Typ1-Diabetikers auf ein CGM-System. Fadenscheinige Gegenargumente zogen nicht.

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NÜRNBERG. Insulinpflichtige Diabetiker, die bei ihrer Kasse ein RealTime-Messgerät (rtCGM) zur kontinuierlichen Glukosemessung beantragen, haben auch dann Chancen auf Bewilligung, wenn das Gerät vor allem wegen seiner Alarmfunktion gegen eine drohende Unterzuckerung eingesetzt werden soll. Das ist der Tenor einer kürzlich ergangenen, noch nicht rechtskräftigen Entscheidung des Sozialgerichts Nürnberg (Az.: S 11 KR 138/13). Zwar gründet der Streitfall in einer Zeit, in der die Real-Time-Messung noch nicht als Kassenleistung anerkannt war. Einen entsprechenden Beschluss fasste der Gemeinsame Bundesausschuss erst im Juni 2016, und erst seit Anfang April dieses Jahres kann die Anleitung zur kontinuierlichen interstitiellen Glukosemessung nach EBM abgerechnet werden.

Doch ist die Problematik, dass Kassen ein Gerät nicht bewilligen wollen, wenn es hauptsächlich seiner Alarmfunktion wegen angeschafft werden soll, offenbar nach wie vor aktuell. Darauf weist der Rechtsanwalt Oliver Ebert hin. Ebert ist Geschäftsführer des Webportals "diabetes-forum.de". In solchen Fällen, so Ebert, "lehnen die Krankenkassen oft die Kostenübernahme ab, weil die bloße Alarmierung nicht zu einer Therapieverbesserung führe".

Dagegen stützt das Sozialgericht Nürnberg seine Entscheidung zugunsten des klageführenden Patienten vor allem auf dessen Leistungsanspruch aus den §§ 11 und 27 SGB V (Verhütung von Krankheiten und deren Verschlimmerung), sowie eine frühere Version des § 33 SGB  V (Anspruch auf Hilfsmittel). In der Urteilsbegründung wird ausdrücklich auch auf die in der GBA-Richtlinie formulierten Voraussetzungen zur CGM eingegangen – vor allem, dass sich Therapieziele anders nicht erreichen lassen als unter Zuhilfenahme eines CGM-Systems. Und auch das treffe in dem vorliegenden Fall zu, heißt es.

Zusammenfassend schreiben die Richter: "Der Einwand der Beklagten (die AOK Bayern – red.), dass nach dem jüngsten Beschluss des GBA die ärztliche Therapieentscheidung beziehungsweise deren Therapieziele und ein diesbezüglicher Nutzen des rtCGM Grundlage für eine Kostenübernahme durch die GKV seien und der alleinige Wunsch nach Befriedigung des Bedürfnisses nach einem Sicherheitsgefühl mittels Alarmfunktion eines Gerätes dagegen nicht ausreichten, verkennt grundlegend die gesundheitliche Situation, in der sich der Kläger befindet und die Gefahren, die aufgrund eines Bewusstseinsverlustes zu schweren gesundheitlichen Folgeschäden (Niereninsuffizienz, Blindheit und potenziell lebensgefährlichen Stoffwechsellagen) führen können".

Der Kläger ist Typ1-Diabetiker, der den Angaben zufolge mit konventioneller Blutzuckerkontrolle wiederholt Unterzuckerungen nicht rechtzeitig zu erkennen vermochte. Das habe mehrfach Notarzteinsätze zur Folge gehabt. Auch soll er bereits an einer Retinopathie leiden. Trotzdem wollte die AOK ein CGM-System nicht bewilligen. Sie habe dafür, heißt es, nicht zuletzt unter Berufung auf ein Gutachten des MDK keine "medizinische Notwendigkeit" gesehen. Stattdessen sei dem Patienten zu einer "Verbesserung des Wahrnehmungstrainings" geraten worden, um seine Hypoglykämien in den Griff zu bekommen.

Laut Urteilsbegründung soll der MDK sogar "eine vorübergehende Erhöhung des Blutzuckerzielwertes zur Behandlung der gestörten Hypoglykämiegegenregulation und -wahrnehmung" vorgeschlagen haben. Doch auch mit Therapiehinweisen dieser Art muss sich niemand abspeisen lassen. Das Gericht kontert, der Vorschlag widerspreche "in eklatanter Weise" der sozialrechtlichen Verpflichtung der Krankenkasse, "eine Krankheit beziehungsweise deren Verschlimmerung zu verhüten". (cw)

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