GKV-Leistungspflicht

Erzwungenes Tattoo kann krank machen

Unter Umständen muss eine Krankenkasse ausnahmsweise auch für eine Tattoo-Entfernung aufkommen.

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DÜSSELDORF. Musste eine zur Prostitution gezwungene und traumatisierte Frau sich die Initialen ihrer Zuhälter am Hals eintätowieren lassen, kann sie sich später die Kosten für die Entfernung des Tattoos von der Kasse erstatten lassen.

Das gilt zumindest dann, wenn die Tätowierung entstellend wirkt oder der Therapieerfolg der psychischen Leiden ansonsten gefährdet wird, entschied das Sozialgericht Düsseldorf in einem jetzt veröffentlichten Urteil.

Im konkreten Fall wurde die Klägerin von zwei Männern zur Prostitution gezwungen. Die Zuhälter hatten ihre Initialen auf dem Hals der Frau großflächig eintätowiert, um ihre Verbindung mit ihr zu kennzeichnen.

Drohende Flashbacks

Das Martyrium der Frau dauerte zweieinhalb Jahre, bis die Polizei sie befreite. Seitdem leidet sie an mittelschwerer Depression und Posttraumatischer Belastungsstörung. Die Heilungsprognose der Ärzte fiel zwar günstig aus, allerdings müsse hierfür die Tätowierung am Hals entfernt werden, da sonst Flashbacks drohten.

Die Kasse wollte die Tattoo-Entfernung nicht zahlen. Das Tattoo sei keine Krankheit, daher bestehe keine Leistungspflicht. Außerdem könne die Frau ihre Traumata mit Psychotherapie und psychiatrischen Behandlungen in den Griff bekommen.

Doch die Kasse ist ausnahmsweise zur Kostenübernahme verpflichtet, urteilte das Sozialgericht. Laut höchstrichterlicher Rechtsprechung liege eine Krankheit vor, wenn der Versicherte in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt wird oder wenn die anatomische Abweichung entstellend wirkt. Beides sei hier der Fall.

Das auf der nahezu ganzen rechten Halsseite zwangsweise gestochene Tattoo habe entstellende Wirkung. Die Klägerin werde nicht nur immer wieder darauf angesprochen, in der "Szene" sei sie so für Personen, die sie aus der Zwangsprostitution kennen, identifizierbar.

Eine Beeinträchtigung der Körperfunktionen bewirke das Tattoo, weil es die bestehenden psychischen Leiden verstärke und die erlittenen Traumata immer wieder neu in Erinnerung bringe. Die Erfolgsprognose der Therapie hänge auch von der Entfernung des Tattoos ab. (fl)

Sozialgericht Düsseldorf Az.: S 27 KR 717/16

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