Wohngesundheit

Chaos nach EuGH-Urteil

Das Umweltbundesamt hadert mit einem EuGH-Urteil zum vorsorgenden Gesundheitsschutz in Gebäuden. Auch Marktteilnehmer zeigen sich verunsichert.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Laut EuGH können Staaten künftig nicht mehr strengere nationale Gesundheitsgesetze erlassen.

Laut EuGH können Staaten künftig nicht mehr strengere nationale Gesundheitsgesetze erlassen.

© bluedesign / Fotolia.com

DESSAU-ROSSLAU/KÖLN. Verschlechtern sich in den kommenden Jahren in Deutschland die Anforderungen an den vorsorgenden Gesundheitsschutz in Gebäuden – und damit die Wohngesundheit? Das Umweltbundesamt (UBA) warnt vor möglichen Gesundheitsrisiken bei der Nutzung von Gebäuden durch nicht ausreichende europäische Standards.

Hintergrund ist ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), das es den EU-Mitgliedstaaten künftig nicht mehr erlaubt, an Bauprodukte strengere nationale Anforderungen zum Schutz der Gesundheit zu stellen.

"Ob Parkett im Wohnzimmer oder Teppich im Kindergarten: Die EU darf bei Bauprodukten keine Abstriche bei der Gesundheit und beim Umweltschutz machen. Es muss auch weiterhin erkennbar bleiben, ob Bauprodukte der Gesundheit schaden oder nicht", monierte UBA-Präsidentin Maria Krautzberger am Donnerstag anlässlich der Veröffentlichung des Jahresberichtes der zentralen Umweltbehörde.

Aus für nationale Kontrollen

Bis zum Herbst 2016 verlangte das Deutsche Institut für Bautechnik (DIBt) laut UBA für innenraumluftrelevante Bauprodukte anspruchsvolle Tests – und damit strenge nationale Kontrollen. Das vergebene nationale "Ü"-Zeichen (Ü für Übereinstimmung) stellte demnach unter anderem strenge Anforderungen an flüchtige organische Verbindungen (VOC).

"Insbesondere an diese VOC, die beispielsweise aus Fußbodenklebern oder Fußbodenbelägen ausgasen können, stellte die nationale Regelung einen sinnvollen Schutz für die Gesundheit der Endverbraucher und Immobiliennutzer dar", verdeutlicht Dr. Walter Dormagen, Leiter Gefahrstoffe und Mikrobiologie bei dem nach eigenen Angaben unabhängigen neutralen Testhaus TÜV Rheinland.

In zu hohen Konzentrationen sind VOC gesundheitsschädlich und können unter anderem Kopfschmerzen oder Schwindel auslösen, ergänzt das UBA. Das deutsche "Ü"-Zeichen ist nach dem Urteil des EuGH nicht mehr erlaubt.

Die EU-Kommission habe zwar einen Vorschlag für eine Ergänzung der EU-weiten und einheitlichen CE-Kennzeichnung von Bauprodukten um gesundheitliche Aspekte vorgelegt. Dieser Vorschlag lässt jedoch Emissionen von VOC aus Lösemitteln und anderen chemischen Hilfsstoffen zu, ohne dies zu kennzeichnen, warnt das UBA.

Plädoyer für VOC-Klassifizierung

"Die hohen deutschen Standards sind in Gefahr. Da wir uns über 80 Prozent der Zeit in Innenräumen aufhalten, sehen wir das sehr kritisch. Verbraucher müssen erkennen und nachprüfen können, ob Bauprodukte in Wohnung, Kindergarten und Büro gesundheitlich unbedenklich sind", so Krautzberger. Dafür bedürfe es einer eindeutigen Kennzeichnung, fordert sie. So könnte es nach den Vorstellungen des Umweltbundesamtes analog zu Brandschutzklassen ein Klassensystem für VOC geben.

"Die Neuregelung basiert weitgehend auf der bekannten CE-Kennzeichnung, die eine Konformitätserklärung durch den Hersteller oder Importeur verlangt", erklärt TÜV-Fachmann Dormagen das neue Zertifizierungsprozedere – das keine Hürden für VOC-Baustoffe vorsehe.

Auch der TÜV sieht die Entwicklung mit Skepsis. "Da die Mühlen der europäischen Gesetzgebung langsam mahlen, ist davon auszugehen, dass die sich aktuell auftuende Schutzlücke fünf bis zehn Jahre Bestand hat", prognostiziert Dormagen.

Und so führe das EuGH-Urteil schon jetzt bei vielen Marktteilnehmern, von Herstellern bis Handel, zu einer spürbaren Verunsicherung, wie das Testhaus die Marktlage analysiert hat. "Und das in einer Phase, wo Gesundheit in Immobilien einer der Megatrends der Baubranche werden kann", echauffiert sich Dormagen.

Denn nicht nur in Schulen, öffentlichen Bauten und Gewerbe-Immobilien bekomme das Thema Schadstoffe einen höheren Stellenwert. Auch immer mehr Bauherren, Bauunternehmen und die Fertighausbranche achten seiner Aussage nach auf die Verwendung unbedenklicher und geprüfter Baustoffe, um die Gefahr von Allergien und typischen Erkrankungen auszuschließen.

Eine aktuelle Untersuchung des TÜV in 650 Einfamilienhäusern in Kooperation mit dem Sentinel Haus Institut habe ergeben, dass Eigenleistungen der Bauherren in ihren Bauprojekten zu einem großen Prozentsatz zu hohen und bedenklichen Schadstoffkonzentrationen führten, da oftmals auf schadstoffarme Materialien verzichtet werde.

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