Paragraf 219a

Erneut zwei Ärztinnen vor Gericht – Gesetzentwurf in Arbeit

Sind die Tage des strafrechtlichen Werbeverbots für den Schwangerschaftsabbruch gezählt? Während in Kassel deswegen jetzt einmal mehr vor Gericht verhandelt wird, bereitet die Bundesregierung eine Gesetzesreform vor.

Martin WortmannVon Martin Wortmann und Wolfgang van den BerghWolfgang van den Bergh Veröffentlicht:
Prozessauftakt im Amtsgericht Kassel: Zwei Gynäkologinnen stehen vor Gericht. Ihnen wird unzulässige "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche vorgeworfen.

Prozessauftakt im Amtsgericht Kassel: Zwei Gynäkologinnen stehen vor Gericht. Ihnen wird unzulässige "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche vorgeworfen.

© Swen Pförtner / dpa

KASSEL/BERLIN. Unter bundesweiter Medienbeachtung hat am Mittwoch vor dem Amtsgericht Kassel eine Strafverhandlung gegen zwei Frauenärztinnen wegen unzulässiger "Werbung" für Schwangerschaftsabbrüche begonnen.

"Wir können bis heute nicht erkennen, dass wir gegen das Gesetz verstoßen", sagte die angeklagte Ärztin Natascha Nicklaus. Die Verteidigung hält die einschlägige Strafvorschrift (Paragraf 219a Strafgesetzbuch) für verfassungswidrig.

Zusammen mit ihrer Kollegin Nora Szász führt Nicklaus eine gynäkologische Gemeinschaftspraxis in Kassel. Auf deren 2012 eingerichteter Homepage ist von Beginn an auch der Schwangerschaftsabbruch als Leistungsangebot aufgeführt.

Erst 2017 gab es deswegen eine Strafanzeige – nach Angaben der Ärztinnen von zwei "selbst ernannten Lebensschützern", die bundesweit gegen über Hundert Ärztinnen und Ärzte vorgehen.

Laut Paragraf 219a StGB ist nicht erst offensive Werbung strafbar, sondern schon das Anbieten von Abbrüchen "seines Vermögensvorteils wegen".

Die Angeklagten weisen finanzielle Motive zurück. "Unsere Motivation war, Patientinnen deutlich zu machen, dass wir auch ungewollt Schwangeren zur Seite stehen", so Nicklaus.

Paragraf 219a verfassungswidrig?

Der renommierte Kasseler Strafverteidiger Knuth Pfeiffer erklärte zum Verhandlungsauftakt, die Norm sei verfassungswidrig. Sie sei ein "Maulkorb" und eine unzulässige "Vorfeldkriminalisierung".

Der Hinweis auf ein straffreies medizinisches Angebot könne selbst nicht strafbar sein. Das Gesetz greife hier unnötig und überzogen in die Berufsfreiheit ein. Ein standesrechtliches Verbot kommerzieller Werbung reiche aus. Auch die Meinungsfreiheit, die Informationsfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Patientinnen seien verletzt.

Mit einem Beweisantrag will die Verteidigung nun belegen, dass das Abtreibungsverbot und insbesondere auch der Strafparagraf 219a sich nicht zugunsten des Schutzes des ungeborenen Lebens auswirken. Es gebe "keinen Schutzzweck für Paragraf 219a" und damit auch keine verfassungsrechtliche Rechtfertigung, sagte Rechtsanwältin Gabriele Heinecke.

Das Verfahren vor dem Kasseler Amtsgericht wurde am Nachmittag (nach Redaktionsschluss) fortgesetzt. Anwältin Heinecke kündigte bereits an, die Ärztinnen seien entschlossen, den Streit notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht oder auch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu bringen.

Im November vorigen Jahres hatte bereits der gleich gelagerte Fall der Hausärztin Kristina Hänel für Aufsehen gesorgt. Hänel war vom Gießener Amtsgericht zu 6000 Euro Geldstrafe verurteilt worden.

Auch sie hatte auf ihrer Website den Schwangerschaftsabbruch als eine ihrer Praxisleistungen genannt, Interessierte können über einen bis heute aktiven Link weitere Informationen anfordern. Der Fall hatte die politische Debatte um eine Gesetzesänderung neu entfacht.

Gesetzesreform in Arbeit

Noch in diesem Jahr ist nun offenbar mit einem Vorschlag zur Änderungen des Paragrafen 219a StGB zu rechnen. Das bestätigte ein Sprecher des Justizministeriums am Mittwoch auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

Die Regierungsfraktionen hätten das Justizministerium beauftragt, einen Reformentwurf zu erarbeiten. Dazu habe es bereits mehrere Gespräche zwischen den Chefs der Justiz-, Familien- und Gesundheitsministerien unter Beteiligung des Kanzleramtschefs Helge Braun gegeben.

Obgleich die Gespräche konstruktiv verlaufen seien, gebe es aber noch keinen abgestimmten Entwurf. Der Ministeriumssprecher betonte ausdrücklich, Voraussetzung für eine Einigung sei es, Rechtssicherheit für Ärzte zu schaffen, sachliche Informationen über den Eingriff geben zu dürfen sowie betroffenen Frauen die Möglichkeit zur Beratung zu geben. Das habe Justizministerin Katarina Barley (SPD) mehrfach betont.

Az.: 284 Ds- 2660 Js 28990/17

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Paragraf 219 a: Politik am Zug

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