Urteil

Kasse muss teure Auslandsbehandlung zahlen

In bestimmten Fällen muss die Kasse auch sehr hohe Kosten für eine Behandlung in den USA tragen.

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BREMEN. Die gesetzlichen Kassen müssen eine neue Behandlungsmethode gegebenenfalls auch dann bezahlen, wenn diese nur im Ausland möglich ist und die Kosten sehr hoch sind – hier rund 300.000 Euro.

Das hat das Sozialgericht (SG) Bremen in einem kürzlich veröffentlichten Urteil zugunsten eines lebensbedrohlich kranken Jugendlichen entschieden. Erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland habe es nicht mehr gegeben.

Der Jugendliche war mit einem schweren Herzfehler geboren worden. Als Folge litt er auch an einer Bronchitis fibroplastica und hatte nahezu täglich lebensbedrohliche Erstickungsanfälle. Der Arzt Yoav Dori aus Philadelphia in den USA berichtete 2016 in der Fachzeitschrift Circulation über eine neue Behandlungsmethode.

Diese besteht darin, bestimmte, zur Lunge führende Lymphgänge zu verschließen. Bei bislang 18 Patienten sei es gelungen, die Neubildung der die Erstickungsanfälle verursachenden Eiweißklumpen zu stoppen.

Keine erfolgsversprechende Behandlungsmöglichkeit in Deutschland

Die Eltern des Jungen beantragten im April 2017 bei ihrer Kasse die Kostenübernahme für eine Behandlung in den USA.

Alle Ärzte, die den Jugendlichen untersucht oder behandelt hatten, befürworteten dies – einschließlich eines von der Kasse angeforderten MDK-Gutachtens. Sie alle verwiesen darauf, dass es erfolgversprechende Behandlungsmöglichkeiten in Deutschland nicht mehr gebe.

Die Kasse lehnte eine Kostenübernahme dennoch ab. Die Behandlung, auch noch im Ausland, entspreche nicht dem anerkannten Stand der Medizin. Zudem habe die US-Klinik des Arztes ein merkwürdiges Preisgebaren: Sie verlange 400.000 Dollar, bei Vorauszahlung nur 200.000 Dollar.

Nach Experteneinschätzung sei die Behandlung mit einer Herzkatheterbehandlung mit Cojl-Verschluss vergleichbar, die in Deutschland nicht mehr als 25.000 Euro koste.

Wie nun das SG Bremen entschied, kommt es auf all dies nicht an. Wenn ein Behandlungsanspruch bestehe, kenne das Krankenversicherungsrecht „keine Beschränkung (...) wegen hoher Kosten“.

Auf Nikolausbeschluss gestützt

Hier bestehe ein Behandlungsanspruch wegen der lebensbedrohlichen Erkrankung, für die es nach Einschätzung aller beteiligten Ärzte, einschließlich des von der Krankenkasse beauftragten MDK, keine andere Behandlungsmöglichkeit mehr gebe. In solchen Fällen müsse die Kasse auch eine Behandlung im Ausland bezahlen.

Damit stützte sich das SG auf den sogenannten Nikolausbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005.

Bei lebensbedrohlichen Erkrankungen müssen danach die Krankenkassen auch alternative oder andere Heilmethoden außerhalb ihres regulären Leistungskatalogs bezahlen, wenn diese „eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht“ auf Heilung oder Linderung versprechen.

2017 hatten die Karlsruher Richter dies bekräftigt aber auch den Ausnahmecharakter betont; danach setzt die Kostenübernahme eine „durch nahe Lebensgefahr gekennzeichnete individuelle Notlage“ voraus.

Gestützt darauf war in dem Bremer Fall die Krankenkasse schon im Eilverfahren verpflichtet worden, die Kosten der US-Behandlung zunächst vorläufig zu übernehmen.

Nach dem jetzt schriftlich veröffentlichten SG-Urteil im Hauptverfahren muss die Kasse die Kosten endgültig tragen. Hiergegen hat die Krankenkasse bereits Berufung zum Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen in Celle eingelegt. (mwo)

Az.: S 8 KR 263/17

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