Arzthaftung

500.000-Euro-Urteil ist rechtskräftig

Wegen fehlerhafter Behandlung akuter Rückenschmerzen mit Diclofenac und Prednisolon muss ein Hausarzt eine halbe Million Euro Schmerzensgeld zahlen.

Von Heidi Niemann Veröffentlicht:
Bei Behandlungsfehlern drohen hohe Schmerzensgelder.

Bei Behandlungsfehlern drohen hohe Schmerzensgelder.

© Maica / Getty Images / iStock

CELLE. Ein Hausarzt muss den Hinterbliebenen eines Patienten, der durch einen ärztlichen Behandlungsfehler schwerst geschädigt worden war und seinen dramatischen Leidensprozess durch einen ärztlich begleiteten Freitod beendet hatte, 500.000 Euro Schmerzensgeld zahlen.

Der Bundesgerichtshof (Az.: VI ZR 355/18) hat jetzt die Beschwerde des Hausarztes gegen Nichtzulassung der Revision gegen ein entsprechendes Urteil des Oberlandesgerichts Celle zurückgewiesen. Damit sei das Urteil rechtskräftig, so ein Sprecher des OLG.

Der Hausarzt hatte dem damals 50 Jahre alten Patienten, der aufgrund langjährig bestehender Bandscheibenschäden unter akuten Rückenschmerzen litt, binnen einer Woche viermal die Wirkstoffe Prednisolon und Diclofenac gleichzeitig in die Gesäßmuskulatur injiziert. Einige Stunden nach Verabreichung der vierten Spritze kollabierte der Patient zu Hause.

Er wurde mit Schüttelfrost, Atemschwierigkeiten und Schmerzen als Notfall im Krankenhaus aufgenommen, wo er intensivmedizinisch behandelt wurde. Auslöser des Kollapses war ein schwerer septischer Schock, der multiples Organversagen und schließlich dauerhaft eine weitgehende Körperlähmung bewirkte.

Arztbehandlung grob fehlerhaft

Ursache der Sepsis war– wie sich später herausstellte – ein Spritzenabszess. Dem Urteil zufolge war das septische Infektionsgeschehen für die Ärzte im Krankenhaus nicht zu beherrschen gewesen. Es schloss sich ein mehr als ein Jahr andauernder dramatischer Leidensprozess an. Der Patient musste ohne Aussicht auf Besserung dauerhaft künstlich beatmet werden und blieb weitgehend gelähmt.

Am Ende des Leidensprozesses stand der ärztlich begleitete Freitod. Zuvor habe der Patient über Monate hinweg seinen Sterbewunsch geäußert und diesen auch in Ethikgesprächen mit den behandelnden Ärzten bekräftigt, teilte der Gerichtssprecher mit. Der Patient war verheiratet gewesen und hatte drei minderjährige Kinder.

Die Hinterbliebenen machten als Erbengemeinschaft vor dem Landgericht (LG) Lüneburg gegenüber dem Hausarzt Ansprüche auf Schmerzensgeld geltend. Das LG ließ sich bei der Prüfung des Falls von einem medizinischen Sachverständigen beraten und kam zu dem Ergebnis, dass die ärztliche Behandlung grob fehlerhaft gewesen sei.

Die intramuskuläre Injektion der beiden Präparate widerspreche dem fachlichen medizinischen Standard sowie den gängigen Leitempfehlungen. Der Hausarzt müsse den Klägern deshalb ein Schmerzensgeld in Höhe von 500.000 Euro zahlen.

Schmerzensgeld angemessen

Der Hausarzt legte Berufung ein – ohne Erfolg. Der für Arzthaftungssachen zuständige 1. Zivilsenat des OLG Celle bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung (Az.: 1 U 71/17). Das LG Lüneburg habe auf Basis des Sachverständigengutachtens mit Recht die Injektion der Medikamente als groben Behandlungsfehler gewertet.

Es komme auch nicht darauf an, ob der Patient vor Verabreichung der Injektionen in diese eingewilligt habe, weil eine kontraindizierte Behandlung nicht durch eine Einwilligung gerechtfertigt werden könne. Dass der dramatische Krankheitsverlauf ungewöhnlich und nicht vorhersehbar gewesen sei, stehe der Haftung des Hausarztes ebenfalls nicht entgegen.

Der OLG-Senat hielt die Höhe des Schmerzensgeldes für angemessen, da das extreme Leiden des Verstorbenen berücksichtigt werden müsse. Dieser sei sich seiner Beeinträchtigungen bewusst gewesen und habe deshalb in besonderem Maße darunter gelitten.

Dass sich dieses über mehr als ein Jahr erstreckt und nicht länger gedauert habe, rechtfertige nicht, geringeres Schmerzensgeld festzusetzen. Wegen der besonderen Todesumstände komme der Leidensdauer bei der Bemessung des Schmerzensgeldes keine Bedeutung zu. Der Patient habe den Freitod nur gewählt, um sein Leiden zu beenden.

Landgericht Lüneburg

Az.: 2 O 157/16

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