Prüfvereinbarungen

In Baden-Württemberg heißt es jetzt Richtwerte statt Richtgrößen

Seit Anfang des Jahres gibt es in Baden-Württemberg keine Richtgrößen mehr. Die KV hat stattdessen auf ein praxisindividuelles Prüfverfahren umgestellt. Eine Methode, von der nicht nur die Ärzte profitieren.

Rebekka HöhlVon Rebekka Höhl Veröffentlicht:
In Baden-Württemberg heißt es jetzt Richtwerte statt Richtgrößen

© Schlierner / Fotolia

STUTTGART. Regressrisiko war gestern: In Baden-Württemberg sorgt seit Jahresanfang eine neue Prüfmethode dafür, dass Arznei-Richtgrößen tatsächlich der Vergangenheit angehören. Die KV hat die alten Richtgrößen durch eine Systematik ersetzt, deren Kernelement ein "Praxisindividueller Richtwert" ist (wir berichteten). Damit kann sie der jeweiligen Morbidität in der Praxis besser gerecht werden.

Sechs Elemente sorgen dafür, dass Ärzte eher selten in Regressnot geraten:

- Der Praxisindividuelle Richtwert (PiRW), der anstelle der alten Richtgröße getreten ist, stellt einen auf Verordnungspatienten bezogenen garantierten Wert pro Patient und Quartal dar. Als Basis für die erste Berechnungsrunde wurde das Jahr 2015 herangezogen. Dabei bleibt der PiRW das ganze Jahr konstant.

- Verordnungspatienten (VOP) sind nur die Patienten, die vom Arzt auch ein Rezept (über Muster 16) erhalten. Die alte Fallzahlbetrachtung wurde damit abgestellt. Dabei gelten für die VOP die Verordnungen aus dem aktuellen Jahr, also aus 2017.

- Mittels Arzneimitteltherapieindikationen (AT) werden die fachgruppenspezifischen Durchschnittskosten einer Indikation pro Quartal und Patient ermittelt. Diese sind für die Berechnung des PiRW wichtig. Auch hier ist das Jahr 2015 Basis für die Berechnung.

- In einem Kontenmodell wird die spezifische Morbidität der Praxis erfasst – und dadurch ebenfalls bei der Ermittlung des Richtwert-Volumens berücksichtigt. Steigt die Morbidität, wird wie bei einem gewöhnlichen Konto auch das PiRW-Volumen angehoben.

- Das Richtwert-Volumen ist die eigentliche Prüfgröße: Es setzt sich zusammen aus dem Praxisindividuellen Richtwert (PiRW) multipliziert mit der Zahl der Verordnungspatienten plus einem zusätzlichen Puffer von 25 Prozent. Wer das Richtwert-Volumen überschreitet, ist auffällig. Dies trifft durch den 25-Prozent-Puffer aber tatsächlich nur wenige Praxen, wie die erste Zwischenbilanz, die die KV kürzlich auf ihrer Vertreterversammlung vorgestellt hat, zeigt: Von 10.192 Praxen, die Arzneimittel verordnet haben, waren lediglich 215 auffällig. Das seien 1,97 Prozent anstelle von rund 20 Prozent der Praxen, die im gleichen Zeitraum 2015 auffällig geworden sind, so die KV.

- Die Morbidität der Praxis misst die KV Baden-Württemberg dabei nicht etwa über die allseits genutzten ICD 10-Diagnosen. Sie nutzt den anatomisch-therapeutischen Code, mit dem jedes Medikament gekennzeichnet ist.

Von der neuen Systematik profitieren aber nicht nur die Ärzte, wie KV-Chef Dr. Norbert Metke auf der Vertreterversammlung verdeutlichte: Die Verordnungskosten pro Versichertem lagen im ersten Quartal dieses Jahres 2,8 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt, im gleichen Quartal 2016 waren es erst 2,2 Prozent unter Bundesschnitt. Im Ergebnis habe die Individualisierung der Prüfsystematik zusammen mit einer rationalen Pharmakotherapie zu Einsparungen geführt, sagte er.

Allerdings gelten weiterhin Zielvereinbarungen, hier haben KV und Kassen die Vereinbarungen aus 2016 weiterlaufen lassen.

Für die Praxen, die auffällig werden, also die 25-Prozent-Hürde überschreiten, gibt es durch die Regel "Beratung vor Regress", die weiterhin gilt, einen zusätzlichen Schutzschirm. Bei erstmaliger Überschreitung des praxisindividuellen Richtwert-Volumens von mehr als 25 Prozent – nach Prüfung und Berücksichtigung möglicher Praxisbesonderheiten, wie die KV klarstellt – kommt es zu einer Beratung, die eine Nachforderung ersetzt. Erst bei einer wiederholten Überschreitung des Richtwert-Volumens von mehr als 25 Prozent wird tatsächlich eine Nachforderung fällig.

Dabei greift bei erstmaliger Festsetzung einer Nachforderung eine sogenannte Nachforderungsbegrenzung. Für den Fall, dass die Nachforderung in Summe 5000 Euro übersteigt, werde der Betrag auf maximal zehn Prozent des GKV-Gesamthonorars der Praxis (mindestens aber 5000 Euro) begrenzt, so die KV. Sollte daraufhin eine weitere Nachforderung festgesetzt werden, werde auch diese auf maximal 25 Prozent begrenzt des GKV-Gesamthonorars (mind. jedoch 5000 Euro).

Für neu zugelassene Ärzte gilt, dass sie in ihren ersten zwei Prüfzeiträumen zwar geprüft werden, aber weder Beratungen noch Nachforderungen oder weitere Maßnahmen fürchten müssen. Ziel dieser Regelung sei, dass sich Ärzte am Anfang ihrer Niederlassung mit den Themen Verordnungen und Wirtschaftlichkeitsprüfung auseinandersetzen könnten, ohne direkt belastende Maßnahmen zu erhalten, berichtet die Südwest-KV.

Und es gibt noch eine Besonderheit: Für Jungpraxen, die 2015 noch keine Betriebsstättennummer hatten, konnte natürlich auch kein Praxisindividueller Richtwert vereinbart werden. Für diese Praxen gilt laut der KV der aktuelle Orientierungswert zur Berechnung des zustehenden Verordnungsvolumens.

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26. April: Hamburg – Quoten werden 2018 ernst

3. Mai: Westfalen-Lippe – Probelauf mit Leitsubstanzen

10. Mai: Schleswig-Holstein –

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17. Mai: Niedersachsen – Regresslatte hoch gelegt 24. Mai: Berlin – mit Richtgrößen hat man sich längst arrangiert 31. Mai: Bremen: Verordnungen jetzt zeitnah unter der Lupe

7. Juni: Saarland hält an Richtgrößen fest – und senkt sogar noch ab

16. Juni: Rheinland-Pfalz – 2014 nur vier Regresse

21. Juni: Nordrhein – neue Regeln stehen

28. Juni: Sachsen – Für Hausärzte vor allem Medizin nach Katalog

5. Juli: Sachsen-Anhalt – Mit sechs Zielwerten auf der sicheren Seite

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