Homöopathie

Sorgt anhaltende Kritik für Absatzdämpfer?

Verlieren Globuli an Vertrauen bei Patienten? Ein Blick auf den Homöopathikamarkt offenbart für 2017 nach Jahren des Anstiegs erstmals einen Einbruch.

Von Annett Stein Veröffentlicht:
Wunderwaffe gegen Gebrechen oder reines Wunschdenken der Patienten? Der Nutzen der Homöopathie ist umstritten.

Wunderwaffe gegen Gebrechen oder reines Wunschdenken der Patienten? Der Nutzen der Homöopathie ist umstritten.

© Diez, O. / Arco Images GmbH / dpa

KARLSRUHE. Hat die vom "Münsteraner Kreis", einer neu gegründeten Gruppe von 17 Wissenschaftlern um die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert, im vergangenen Jahr angestoßene Debatte, um die Abschaffung des Heilpraktikerberufes Patienten verunsichert, die sonst gerne – ärztlich verordnet oder auf OTC-Basis – zu Homöopathika als Mittel der Wahl gegriffen haben. Immerhin sprach die Gruppe um Schöne-Seifert in ihrem "Münsteraner Memorandum Heilpraktiker" von "meist unhaltbaren Krankheitskonzepten" der Heilpraktiker.

Es muss nicht ursächlich sein, aber ein zeitlicher Bezug ist denkbar, wirft man ein Auge auf die jüngste Entwicklung am Homöopathikamarkt. Noch vor wenigen Jahren sorgte dieses Segment für mehr als 600 Millionen Euro Umsatz in Deutschland. Doch nach aktuellen Zahlen gingen die Verkäufe im Jahr 2017 deutlich zurück. Nach Daten, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegen, gingen im vergangenen Jahr nach Schätzungen des internationalen Beratungsunternehmens Iqvia (ex IMS) mehr als 53 Millionen Packungen homöopathischer Präparate über die Verkaufstische deutscher Apotheken – gut zwei Millionen Packungen oder rund 3,6 Prozent weniger als 2016.

Verordnung seltener auf Rezept

Dabei kauften nicht nur die Patienten selbst deutlich weniger Homöopathika, auch Ärzte verordneten die Präparate seltener auf Rezept: Bei Kassenpatienten sank die Zahl der zu Lasten der GKV abgegebenen Packungen um gut 14 Prozent, bei Privatversicherten um rund sieben Prozent. Auch beim erzielten Umsatz sieht es für die Hersteller nicht mehr ganz so rosig aus: Nach teils zweistelligem Wachstum stiegen die Einnahmen zwar nach den offiziellen Preisangaben noch in geringem Maße. Doch viele Apotheken gewähren ihren Kunden für rezeptfreie Arzneimittel Rabatte – nicht zuletzt aufgrund der großen Konkurrenz durch die im Allgemeinen wesentlich günstigeren Online-Apotheken. Nach Zahlen des Marktforschungsinstituts Insight Health, welches dies berücksichtigt, sanken die Umsätze im Jahr 2017 um 0,3 Prozent gegenüber 2016 auf 608 Millionen Euro.

Die Absatzzahlen der zehn meistverkauften homöopathischen Präparate seien "alle am Sinken", erklärt ein Sprecher von Insight Health. "Das große Wachstum bei Homöopathika ist erstmal vorbei." Der Bundesverband BAH erklärte auf Nachfrage, er könne angesichts der aktuellen Zahlen "keine Aussage bezüglich einer Trendwende zur Akzeptanz und Anwendung homöopathischer Arzneimittel treffen". Zahlen für 2017 habe der Bund Deutscher Heilpraktiker "noch nicht verarbeitet", hieß es vom Bund Deutscher Heilpraktiker.

Neben der durch den Münsteraner Kreis forcierten Heilpraktikerdebatte könnte die Diskussion um die Wirksamkeit der Präparate ein weiterer Grund für ein abnehmendes Interesse an homöopathischen Mitteln. Während gesetzliche Krankenkassen eigentlich nur die Kosten anerkannt wirksamer Behandlungen erstatten dürfen, gibt es für die Homöopathie und ähnliche Therapierichtungen gesetzliche Sonderregeln: Anders als bei Arzneimitteln üblicherweise erforderlich wird ihre Wirksamkeit nicht in anspruchsvollen Studien geprüft.

In diesem Zusammenhang appellierte GBA-Chef Professor Josef Hecken in der "Ärzte Zeitung" an den Bundesgesetzgeber, Krankenkassen bei Satzungsleistungen stärker zu kontrollieren. Die Zulässigkeit solcher Leistungen müsse konkretisiert und hinsichtlich der Evidenzanforderungen enger gefasst werden, so Hecken. Hintergrund für Heckens Äußerungen waren die Todesfälle von drei Patienten, die in einer "alternativen" Krebsklinik eines Heilpraktikers behandelt wurden.

Globuli für die Kundenbindung

Gegen die Kassen schießt auch Professor Jürgen Windeler, Leiter des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Seiner Aussage nach glauben auch die Kassen, die die Kosten erstatten, selbst nicht an den Nutzen von Homöopathika. Vielmehr nutzten sie die Homöopathie, um Kunden zu binden. "Der fehlende Nutzen ist vielfach nachgewiesen", erklärte Windeler im vergangenen Jahr. "Da kann man die Bücher drüber schließen."

Dennoch erkennen Ärzte- und Apothekerkammern Fortbildungen im Bereich Homöopathie weiterhin offiziell an. Dies sei "nur historisch und berufspolitisch zu erklären, nicht aber wissenschaftlich zu begründen", erklärte die Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft schon vor zwanzig Jahren. Geändert hat sich daran seitdem jedoch wenig.

Selbst angesehene Universitäten bieten oftmals Vorlesungen in Homöopathie als Wahlpflichtfach im Medizinstudium an. Die Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München sah sich in der vergangenen Woche erheblicher Kritik in den sozialen Medien ausgesetzt: In Vorlesungsunterlagen zur Allgemeinmedizin hatte ein LMU-Dozent behauptet, die Homöopathie funktioniere "im Prinzip wie eine Impfung". Auch hatte er auf fragwürdige Krebs-Experimente an Ratten verwiesen, denen eine "immaterielle Wirkung" der Präparate womöglich das Leben verlängert habe.

Auf Nachfrage erklärt die Uni nun, sie wolle eine "kritische Distanz" wahren und die Unterlagen überarbeiten. Aus ihrer Sicht gebe es "keine wissenschaftliche Grundlage" für die Homöopathie, so ein Sprecher – hierauf werde in Vorlesungen bereits hingewiesen. In der aktuellen Semesterklausur sehe es nun anders aus, betont er: Es gebe keine Frage mehr, "die diagnostisches ober therapeutisches Wissen der Homöopathie abfragt". "Wir möchten keine Empfehlung zu homöopathischem Handeln an die Studierenden geben."(dpa, Mitarbeit: maw)

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