BSG-Urteil

Fahrlässig falsch abgerechnet? Verjährungsfristen länger!

Rechnet ein Arzt vorsätzlich oder grob fahrlässig ab, kann die KV ihm auch noch nach vier Jahren das Honorar kürzen. Das hat das Bundessozialgericht entschieden.

Martin WortmannVon Martin Wortmann Veröffentlicht:
Der Neurochirurg stellte Überweisungen zur Schmerztherapie aus, ohne Patienten gesehen zu haben.

Der Neurochirurg stellte Überweisungen zur Schmerztherapie aus, ohne Patienten gesehen zu haben.

© bidaya / stock.adobe.com

KASSEL. Für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung gilt nicht die sozialrechtliche Verjährung von vier Jahren. Kürzungen sind auch noch später möglich, wenn der Arzt Vorgaben vorsätzlich oder grob fahrlässig missachtet hat, urteilte der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG). Danach hat die Kassenärztliche Vereinigung (KV) für eine Honorarkürzung ein Jahr Zeit, nachdem ihr die den Vertrauensschutz ausschließenden Umstände bekannt wurden.

Damit wies das BSG einen früheren Krankenhaus-Chefarzt aus Baden-Württemberg ab, ein Anästhesist mit Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“. Er hatte eine Ermächtigung für schmerztherapeutische Leistungen, begrenzt auf Überweisungen durch schmerztherapeutisch tätige niedergelassene Anästhesisten und Vertragsärzte, die an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilnehmen.

Besondere Vereinbarung ungültig

Tatsächlich behandelte er aber fast ausschließlich Patienten, die von einem Hausarzt überwiesen wurden oder ganz ohne Überweisung zu ihm kamen. Hierfür traf er eine besondere Vereinbarung mit einem in den Räumen der Klinik ansässigen Neurochirurgen mit Zusatzbezeichnung „Spezielle Schmerztherapie“: In den Räumen des Klinikarztes wurden die Versichertenkarten mit einem mobilen Kartenlesegerät erfasst und dem Neurochirurgen übermittelt. Dieser stellte daraufhin die Überweisung aus, ohne die Patienten je gesehen zu haben.

Die KV erfuhr dies im April 2013. Nach einer Prüfung ging die KV von einem Missbrauch der Krankenversicherungskarten aus, zudem habe der Neurochirurg die Überweisungsvoraussetzungen der Ermächtigung gar nicht erfüllt. Mit Bescheid vom März 2014 kürzte die KV die Honorare für die Quartale I bis III 2008 um gut 55.000 Euro.

Die gegen diese Kürzung gerichtete Klage wies das BSG nun ab. Der Neurochirurg habe nicht an der Schmerztherapie-Vereinbarung teilgenommen. Unabhängig davon seien auch die abgesprochenen Abläufe unzulässig, weil der Neurochirurg ohne Patientenkontakt keine Überweisungen ausstellen durfte.

Normale Frist gilt nicht

Grundsätzlich urteilte das BSG, dass für eine sachlich-rechnerische Richtigstellung die übliche sozialrechtliche Verjährungsfrist von vier Jahren nicht gilt, wenn ein Arzt arglistig, vorsätzlich oder zumindest grob fahrlässig fehlerhaft abgerechnet hat. Maßgeblich seien hier allein die gesetzlichen Sondervorschriften für die Abrechnungsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung.

Auch eine Ermessensentscheidung sei danach nicht erforderlich.Soweit er früher anders entschieden habe oder zumindest anders verstanden worden sei, halte er daran nicht fest, stellte der BSG-Vertragsarztsenat klar.

Gültig sei aber auch hier die allgemeine sozialrechtliche Vertrauensschutzregelung für die Rücknahme begünstigender Bescheide. Danach muss die KV innerhalb eines Jahres reagieren, nachdem ihr die Falschabrechnung bekannt wurde. Im Streitfall sei diese Frist noch erfüllt, und der Chefarzt habe auch „zumindest grob fahrlässig“ gegen die Regeln verstoßen, urteilte das BSG.

Bundessozialgericht

Az.: B 6 KA 34/17 R

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