Praxisführung

Fallmanager knüpfen Netz für Patienten

Im Dschungel der Versorgungsebenen, Kostenträger und sozialen Dienste müssen Ärzte nicht zwangsläufig selbst den Überblick behalten. Das Fallmanagement gehört zu den Aufgaben, die zur Entlastung delegiert werden können. Für MFA ist diese Aufgabe eine gute Chance zur beruflichen Weiterentwicklung.

Kerstin MitternachtVon Kerstin Mitternacht Veröffentlicht:
Im Dschungel der Versorgungsebenen, Kostenträger und sozialen Dienste müssen Ärzte nicht zwangsläufig selbst den Überblick behalten

Im Dschungel der Versorgungsebenen, Kostenträger und sozialen Dienste müssen Ärzte nicht zwangsläufig selbst den Überblick behalten

© Andres Rodriguez / Fotolia

NEU-ISENBURG. Das Fallmanagement für einen Patienten, auf Neudeutsch auch Casemanagement (CM) genannt, gewinnt immer mehr an Bedeutung bei der Betreuung von Patienten. Ärzte setzen etwa bei Chronikern auf die Unterstützung von Casemanagern und sollten in der Praxis auch selbst vermehrt Casemanagement-Funktionen übernehmen, so die Einschätzung von Professor Peter Löcherbach von der Katholischen Hochschule Mainz, der zum Thema Casemanagement forscht. Löcherbach ist zudem Vorsitzender der Fachgesellschaft Case Management (DGCC).

Ziel eines Fallmanagements ist die gut organisierte und bedarfsgerecht zugeschnittene Hilfeleistung für einen Patienten. Dabei geht es um eine Unterstützung sowohl über einen bestimmten Zeitraum als auch über Versorgungsebenen und soziale Dienste hinweg. Fallmanager kommen dabei unter anderem in Selektivverträgen für die Versorgung bestimmter Patientengruppen zum Einsatz, für die ein hoher Koordinierungsbedarf besteht.

"Komplexer Hilfsbedarf"

"Für eine Umsetzung der Integrierten Versorgung ist es wichtig, dass verschiedene Stellen, wie Ärzte und Soziale Dienste, zusammenarbeiten", weiß CM-Forscher Peter Löcherbach. Daher sei es sinnvoll, wenn in der Arztpraxis bei einer zur Casemanagerin ausgebildeten Medizinischen Fachangestellten (MFA) alles zusammenläuft, etwa bei der Behandlung von Chronikern oder schwierigen Patientenfällen. "Der Hilfsbedarf bei diesen Patienten ist komplex."

So arbeiten Casemanager (CM) mit Pflegestützpunkten, Reha-Einrichtungen oder Kostenträgern zusammen. Sie sorgen dafür, dass alle Behandlungen zum richtigen Zeitpunkt erfolgen und beziehen auch das soziale Umfeld der Patienten mit ein.

"Es laufen hierzu viele gute regionale Modelle, etwa in Dresden für Schlaganfallpatienten, in Augsburg für Frühgeborene oder in Minden für Demenzerkrankte", so der Experte. Zudem gebe es Projekte, die den Übergang von der stationären zur ambulanten Behandlung begleiten. Das Ziel sei dabei immer, stationäre Aufnahmen und Heimeinweisungen so weit wie möglich zu vermeiden.

Spezielle Anforderungen an MFA

"Wenn sich in einer Arztpraxis eine Mitarbeiterin zur Casemanagerin weiterbilden lassen möchte, ist es vor allem wichtig, ob sie die nötigen persönlichen Voraussetzungen sie mitbringt", sagt Löcherbach. Sie sollte gut kommunizieren und organisieren können, sie sollte auf Patienten eingehen können und bereit sein, diese auch zu Hause zu besuchen. Strukturiert zu arbeiten ist ebenso notwendig, wie in komplexen Fällen Konferenzen mit verschiedenen Ansprechpartnern zu moderieren. CM sollten darüber hinaus in der Lage sein, sich ein Netzwerk aus Ärzten, Therapeuten (z.B. Physiotherapeuten), Kostenträgern und sozialen Diensten (etwa Pflegedienste) aufzubauen. "Schließlich sollte man nicht bei jedem Patienten in der Netzwerkarbeit wieder von vorne anfangen."

Ansprechpartner für alle Seiten

Da Casemanager auch bei Anträgen von Leistungen oder Widersprüchen bei Krankenkassen Ansprechpartner sind, sei es zudem enorm wichtig, sich mit den rechtlichen Grundlagen des Gesundheitssystems auszukennen. "Bei einer Casemanagerin laufen im optimalen Fall alle Fäden zusammen. Der Patient und auch die Angehörigen haben einen Ansprechpartner", sagt Löcherbach. Der Arzt verantworte nach wie vor die Behandlung, die Casemanagerin unterstütze Patienten bei der Umsetzung des Behandlungsplans. Dabei sei entscheidend für die Compliance, dass eine Case-Managerin immer wieder nachfragt, wie die Behandlung läuft.

Eine CM sorge dafür, dass die Behandlung auch im Alltag des Patienten realisiert werden kann und passe sie nach dessen Wunsch und in Absprache mit Ärzten und Therapeuten an. Weiterhin achte eine CM darauf, dass die Behandlung in der gewünschten Qualität vonstattengeht und aufkommende Probleme angesprochen werden.

Doch wie entscheidet ein Arzt, ob die Unterstützung eines CM notwendig ist, und wie geht es dann weiter? Wenn dies nicht über einen IV-Vertrag vordefiniert sei, müsse dies in einem ersten Gespräch identifiziert werden. "Die Casemanagerin setzt sich mit Patient und Angehörigen zusammen und erörtert die gesamte Situation: Was soll passieren, was ist notwendig, was sind die Wünsche des Patienten? Dazu gehört natürlich auch die Einbeziehung dessen, was Ärzte für die Behandlung als notwendig erachten. Die CM bündelt dann diese Informationen", erklärt Löcherbach. "Jeder Patient bekommt das, was er braucht. Es geht nicht darum, dass Patienten alles, was möglich ist, bekommen, sondern so viel Unterstützung, dass die Behandlungsziele erreicht werden können."

Wenn einmal entschieden sei, dass ein Casemanagement erforderlich ist, sei der zweite Schritt dann die Planung: Wer macht was, wann und wer muss sich abstimmen? Dies sind Fragen, um die sich dann die CM kümmert. Der letzte Schritt ist dann das Monitoring des Behandlungsplans: telefonisch nachhaken, Hausbesuche machen, überprüfen, ob alles klappt. Wenn die Versorgung angemessen funktioniert, kann das Casemanagement beendet werden, auch wenn einzelne Maßnahmen darüber hinaus weitergehen. Wichtig sei auf jeden Fall immer wieder die Rückkoppelung mit den Ärzten. "Je nach Fall kann dies alle 14 Tage sein oder einmal im Monat. Auch der regelmäßige Austausch mit anderen Therapeuten oder dem Pflegedienst ist dabei wichtig. Bei solchen Fallkonferenzen sind auch der Patient und seine Angehörigen dabei." Die CM gibt auch wichtige Informationen, die die Behandlung stören könnten, an die behandelnden Ärzte weiter, allerdings in Rücksprache und mit Einverständnis des Patienten. Dies könne zum Beispiel ein Vorfall in der Familie sein, etwas Krankheit, auch Probleme mit den Kostenträgern können sich störend auswirken.

"Eine Betreuung dauert je nach Fall zwischen sechs Wochen und einem Jahr. Bei sehr komplexen Fällen kann es auch eine Dauerbegleitung mit intensiven und weniger intensiven Phasen geben", sagt Löcherbach.

Eine besondere Rolle spielen immer die Angehörigen. "Ohne Angehörige würde das Versorgungssystem nicht funktionieren", weiß der Experte. "Sie sind eine wichtige Ressource, sollten mit einbezogen und auch aktiv unterstützt werden." Dabei sei allerdings darauf zu achten, dass Patienten nicht bevormundet werden. "Der Patient ist immer Herr über seine Informationen und entscheidet auch, was weitergegeben werden darf und was nicht", sagt Löcherbach. "Patienten, die in die Behandlung mit einbezogen werden, fühlen sich nicht nur besser versorgt – sie sind es auch; es gibt weniger Behandlungsabbrüche, weniger Heimaufenthalte und weniger stationäre Einweisungen beziehungsweise kürzere stationäre Aufenthalte."

Professor Dr. phil. Peter Löcherbach

- Seit 1994 ist er Inhaber des Lehrstuhls für Sozialarbeitswissenschaft an der Katholischen Hochschule Mainz. Von 2001 und 2008 war er Rektor der Hochschule. Casemanagement ist einer seiner Lehr- und Forschungsschwerpunkte.

- Funktionen: Löcherbach ist zudem Vorstandsvorsitzender der Fachgesellschaft zum Thema der Deutschen Gesellschaft für Care und Case Management (DGCC) sowie Autor zahlreicher Bücher zum Casemanagement.

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