Arztsitz-Übernahme

"Nun wird alles noch komplizierter"

In MVZ-Kreisen bedauert man das jüngste Urteil des Bundessozialgerichts zur Arztsitz-Übernahme per Anstellung. Der Chef der Berliner Vivantes-MVZ erwartet, dass das Branchenwachstum deutlich ausgebremst wird.

Angela MisslbeckVon Angela Misslbeck Veröffentlicht:
Dr. Axel Rösler ist Geschäftsführer der Vivantes MVZ GmbH.

Dr. Axel Rösler ist Geschäftsführer der Vivantes MVZ GmbH.

© Vivantes

BERLIN. Das Urteil des Bundessozialgerichts über die Sitzeinbringung von Ärzten in ein Medizinisches Versorgungszentrum sorgt für Enttäuschung bei MVZ-Betreibern.

Das Gericht hatte entschieden, dass Ärzte mindestens drei Jahre lang in einem MVZ mitarbeiten müssen, wenn sie ihren Sitz dort einbringen und dann in den Ruhestand gehen wollen.

Bisher sind Fristen von drei bis sechs Monaten üblich.

"Mit dem BSG-Urteil ist der Weg der Sitzeinbringung in ein MVZ aufgrund von Zulassungsverzicht fast vollständig versperrt", sagte Dr. Axel Rösler, Geschäftsführer der Vivantes MVZ GmbH, der "Ärzte Zeitung".

Es funktioniere in der Praxis kaum, einen Arzt als Angestellten in ein Team zu integrieren, der jahrzehntelang allein in seiner Praxis gearbeitet habe. Zudem hätten daran auch die betroffenen Ärzte kein Interesse.

"Man hat es jetzt de facto so unattraktiv gemacht, dass es zukünftig nur noch vereinzelte diesbezüglichen Anträge beim Zulassungsausschuss geben wird", prognostiziert der MVZ-Chef.

Enttäuscht über Richterspruch

Rösler verweist darauf, dass es für MVZ ohnehin schwierig sei, neue Arztsitze zu übernehmen. Denn im normalen Zulassungsverfahren hätten niedergelassene Ärzte bei der Bewerbung um die Übernahme eines Arztsitzes Vorrang vor MVZ. "Nun wird alles noch komplizierter", kritisiert Rösler.

Er zeigt sich enttäuscht von den obersten Sozialrichtern: "Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz ist gesetzlich mehr Gleichstellung für MVZ erreicht worden. Die Rechtsprechung schlägt jetzt wieder den Weg in die andere Richtung ein."

Der Chef der Vivantes-MVZ geht davon aus, dass das Urteil das Wachstum von MVZ deutlich bremsen wird. Dafür könnte es perspektivisch aber zu Fusionen in der MVZ-Landschaft kommen.

Denn eine verbliebene Möglichkeit für MVZ, relativ sicher und komplikationslos neue Arztsitze zu bekommen, bleibe der Aufkauf anderer MVZ.

Rösler verweist darauf, dass einige KVen die Umwandlung von Praxen in MVZ als Schutzschild gegen die bei Überversorgung drohenden Praxisaufkäufe propagieren würden.

"Das könnte in einigen Jahren dazu führen, dass viele kleine MVZ zum Verkauf stehen", spekuliert der Chef der kommunalen Vivantes-MVZ.

Zehnjähriges für MVZ-Tochter

Die MVZ-Tochter von Vivantes hat am 18. Mai ihr zehnjähriges Bestehen gefeiert. Mit der Gründung der Tochtergesellschaft beabsichtigte der größte kommunale Klinikkonzern Deutschlands 2006, in ausgewählten Bereichen seine stationäre Versorgung durch ambulante Angebote zu ergänzen.

Derzeit gibt es beim - nach eigenen Angaben - größten kommunalen MVZ-Betreiber Deutschlands zwölf MVZ mit 25 Fachrichtungen und 90 Fachärzten sowie Psychotherapeuten. Sie versorgen pro Jahr mehr als 100.000 Patienten.

Mit einem Umsatz von knapp 18 Millionen Euro ist die MVZ-Tochter für den Gesamtkonzern Vivantes mit 1,1 Milliarden Euro Umsatz wirtschaftlich von untergeordneter Bedeutung.

"Aber wir sind in der Patientenversorgung ein wesentlicher Bestandteil, zumal die Verzahnung von stationär und ambulant auch politisch gewollt ist", so Rösler.

Portaleffekte leugnet er nicht, stellt aber auch klar: "Wer nicht ins Krankenhaus gehört, kommt nicht ins Krankenhaus. Sonst fänden wir auf Dauer keine Akzeptanz bei den Patienten."

Die Klinik-MVZ-Gesellschaft legt Wert darauf, die ambulante Versorgung in Berlin sinnvoll zu ergänzen. "Deshalb sind wir als kommunaler MVZ-Betreiber nicht in Zehlendorf und Dahlem, sondern dort, wo es brennt", sagt Rösler.

Doch nicht nur räumlich will die Vivantes MVZ GmbH Lücken schließen, sondern sie bietet auch spezielle Versorgungsangebote, wie etwa eine onkologische Rundum-Versorgung über Sektorengrenzen hinweg, eine Sprechstunde für Kinder mit unklaren Bauch- und Kopfschmerzen sowie ein Schmerzzentrum mit Orthopädie, Neurochirurgie, spezieller Schmerztherapie und Psychotherapie.

2015 hat Vivantes zudem gemeinsam mit der Berliner Uniklinik Charité ein MVZ für Strahlentherapie am Vivantes Klinikum Friedrichshain eröffnet.

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