Auf den Spuren eines unterschätzten Riesen

Die Gesundheitswirtschaft in Deutschland trägt weitaus mehr zur Wirtschaftskraft bei als bislang angenommen. Das legen neue Daten nahe, die das Bundeswirtschaftsministerium jetzt veröffentlicht hat.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Lohnende Beratung in der Arztpraxis: Der Anteil der Gesundheitsbranche am Bruttoinlandsprodukt ist größer als vermutet.

Lohnende Beratung in der Arztpraxis: Der Anteil der Gesundheitsbranche am Bruttoinlandsprodukt ist größer als vermutet.

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BERLIN. Rund 378 Milliarden Euro haben niedergelassene Ärzte, die Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pharmaunternehmen, aber auch die Therapeuten der verschiedenen Fachrichtungen sowie die Beschäftigten der Fit- und Wellnessunternehmen laut einer jetzt veröffentlichten Studie im Jahr 2005 erwirtschaftet. Das waren 7,8 Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung in Deutschland in diesem Jahr. Mehr als die Hälfte des Umsatzes geht dabei auf Niedergelassene und Kliniken zurück.

Insgesamt waren in der Branche 5,4 Millionen Menschen beschäftigt. Mit 7,8 Milliarden Euro haben sie 2005 mit einem Anteil von 5,4 Prozent zum Außenhandelsüberschuss beigetragen. Bislang schwirrten unterschiedliche Zahlen durch den politischen Raum. Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden geht für das Jahr 2007 von 253 Milliarden aus.

Dass es diese simpel anmutenden Zahlen gibt, ist nicht selbstverständlich. Eine Forschergruppe von der Unternehmensberatung Roland Berger, der Technischen Universität Berlin und der Augsburger Beratungsgesellschaft für angewandte Systemforschung Basys hat im Auftrag des Wirtschaftsministeriums in den vergangenen 18 Monaten etwas für die OECD-Staaten einzigartiges geleistet. Sie hat die Gesundheitswirtschaft einer Industriegesellschaft in den Kategorien der Volkswirtschaft dargestellt.

Noch sind die Daten nicht vollständig veröffentlicht, aber bei der Vorstellung der Forschungsarbeit in Berlin geriet der frisch gebackene Staatssekretär Ernst Burgbacher ins Schwärmen. Die OECD habe bereits reges Interesse an dem Werk gezeigt, sagte Burgbacher. Für ihn ist das wie ein politischer Lottogewinn. Sein Wahlkreis ist Tuttlingen, ein Zentrum der Medizintechnologie. Flugs kündigte Burgbacher einen Rahmenplan zur Förderung des Exports von Gesundheitsgütern und Dienstleistungen und einen Rahmenplan Medizinische Innovation an. Da er in seiner Funktion auch für den Tourismus zuständig ist, begrüßt er auch die Einbindung des so genannten Zweiten Gesundheitsmarktes in die Studie.

Die Begeisterung des Schwaben ist nicht nur landsmannschaftlich bedingt. Immerhin hat der Gesundheitssektor im Berichtsjahr Güter und Dienstleistungen für 54,5 Milliarden Euro exportiert.

Insgesamt 3000 Gütergruppen des ersten und zweiten Gesundheitsmarktes haben die Forscher untersucht. Zum Kern des ersten Marktes gehören die von den gesetzlichen Kassen und privaten Versicherern vergütete Arbeit der Ärzte und die erstattungsfähigen Arzneimittel. Dafür haben die Menschen in Deutschland 2005 mit 192 Milliarden Euro auch den überwiegenden Teil ihrer Gesundheitsausgaben aufgewendet.

Fundament des zweiten Marktes sind vor allem die Igel-Leistungen und OTC-Präparate, die den Konsumenten 25,2 Milliarden Euro wert waren. In der weiter gefassten Gesundheitswirtschaft finden sich unter anderem auch Posten wie die Medizinerausbildung. Für die therapeutischen Berufe noch interessanter sind aber die 29,4 Milliarden Euro, die die Menschen für Wellness und gesunde Ernährung ausgegeben haben. Während logischerweise außerhalb des Kerngeschäfts die privaten Ausgaben dominieren, ist der Staat im Kerngeschäft selbst zu 70 Prozent noch der Hauptfinanzier.

Im Jahr 2005 war jeder siebte Erwerbstätige in der Gesundheitswirtschaft tätig. Perspektivisch könnte es im Jahr 2030 bereits jeder Fünfte sein. Während die Arzneimittelhersteller mit 125 000 Euro Wertschöpfung je Beschäftigtem den höchsten Wert erreichten, lagen die Dienstleistungen in den privaten Haushalten mit 10 000 Euro am unteren Ende der Skala. Da ehrenamtliche Arbeit in solche Berechnungen nicht einfließt, ergibt sich hier ein verzerrtes Bild.

Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen werden unter anderem dafür angestellt, um Aussagen für die Zukunft treffen zu können. Dies übernahm der Gesundheitsökonom Klaus-Dirk Henke von der TU Berlin. Positiv aus seiner Sicht: Deutschland wird seine Weltmarktanteile auch in einem global wachsenden Markt für Gesundheitsleistungen behalten. Die privaten Ausgaben für den gesellschaftlichen Trend Gesundheit werden steigen. Die Alterung der Gesellschaft sowie der medizinisch-technische Fortschritt dürften sich Henke zufolge darüber hinaus als Wachstumstreiber erweisen.

Dagegen stehen eine aufgrund der schrumpfenden Gesellschaft sinkende Nachfrage sowie sinkende Beschäftigungszahlen durch Produktivitätssteigerungen. Außerdem rechnen die Wissenschaftler damit, dass der Staat die Kosten des Fortschritts nicht in jedem Falle mit trägt.

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