Moskau streckt Fühler nach Deutschland aus

Es tut sich etwas in der deutsch-russischen Zusammenarbeit in der Gesundheitswirtschaft. Jüngstes Beispiel: Der Dachverband der Prostatazentren und die Stiftung Männergesundheit kooperieren mit russischen Kliniken.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
So glänzend wie die Moskauer Basiliuskathedrale sieht es an den allermeisten russischen Kliniken derzeit nicht aus.

So glänzend wie die Moskauer Basiliuskathedrale sieht es an den allermeisten russischen Kliniken derzeit nicht aus.

© Gina Sanders / fotolia.com

BERLIN. Die deutsche Medizintechnik exportierte in den ersten drei Quartalen des Jahres 2010 ein Drittel mehr Waren und Dienstleistungen nach Russland als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Insgesamt schlug der Handel mit 397 Millionen Euro zu Buche, sagte Stefan Diepenbrock vom Branchenverband Spectaris im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

 Zum Vergleich: In die Europäische Union haben die medizintechnischen Unternehmen im gleichen Zeitraum Waren und Dienstleistungen für 4,7 Milliarden Euro exportiert, was ein Plus von 5,6 Prozent bedeutete. Insgesamt war der Außenhandel der Branche bis Ende September 2010 rund elf Milliarden Euro schwer und legte damit um 3,4 Prozent zu.

Die Ursachen für die erfreuliche Entwicklung in Russland liegen im von Präsident Medwedjew angestoßenen wirtschaftlichen Modernisierungsprozess. Russische Ministerien und Behörden gingen zunehmend auf die Wünsche ausländischer Produzenten ein, heißt es bei der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.

Korruption, Bürokratie, Zollabwicklung und technische Regulierung seien aber weiterhin Dauerbrenner, räumt Kammerchef Michael Harms ein.

Die Kaufleute folgen den Wissenschaftlern

Die Gesundheitswirtschaft und damit auch der deutsche Export profitieren von hohen staatlichen Investitionen, vom Kooperationsabkommen aus dem Juli 2010 zwischen dem Bundesgesundheitsministerium und seinem Pendant in Moskau, aber auch von Graswurzelinitiativen wie dem Koch-Metschnikow-Forum (KMF) und neuerdings der Zusammenarbeit des Dachverbands der Prostatazentren (DVPZ) und der Stiftung Männergesundheit mit Kliniken in Sankt Petersburg und Moskau.

"Den Wissenschaftlern folgen die Kaufleute", sagt Professor Helmut Hahn, der dem KMF vorsteht. Der Verein baut in biomedizinischen und epidemiologischen Kooperationsprojekten Netzwerke auf und pflegt Kontakte zu Entscheidern im russischen Gesundheitswesen. Vereinsziel ist es unter anderem, Mehrwert für die deutsche Medizinprodukte- und Pharmaindustrie zu schaffen.

Interdisziplinäres Arbeiten fällt Russen noch schwer

Im Fall der Stiftung Männergesundheit und der DVPZ ist die deutsch-russische Zusammenarbeit anders gelagert. Die deutsche Tochter des russischen Gasmultis Gazprom finanziert mit fünf Millionen Euro die Versorgungsstudie HAROW zum lokal begrenzen Prostatakarzinom. Ziel der Studie ist es, bis 2012 Kriterien für differenzierte Therapieentscheidungen zu treffen.

"Die Erkenntnisse aus der Studie gehen zurück nach Russland", sagte Professor Lothar Weißbach, wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Männergesundheit, bei der Unterzeichnung eines Kooperationsabkommens zwischen der Stiftung Männergesundheit und Vertretern des Militärkrankenhauses in Sankt Petersburg und dem Städtischen Krankenhaus in Moskau.

Zunächst soll der Aufbau des Prostata-Kompetenzzentrums in Moskau bis 2015 vorangetrieben werden. Bis deutsche Firmen auch von dieser Initiative direkt profitieren können, wird es noch dauern. Zunächst gelte es, die althergebrachten Strukturen im russischen Klinikalltag aufzubrechen.

Interdisziplinär zu arbeiten müssten die russischen Kollegen erst noch lernen. Außerdem müssten Konzepte fürs Qualitätsmanagement implementiert werden, sagte Dr. Richard Berges vom DVPZ der "Ärzte Zeitung".

Die vorsichtige Herangehensweise könnte sich auszahlen. Das Nationale Projekt "Gesundheit" in Russland zeigt, dass modernes Projektmanagement dort noch in den Kinderschuhen steckt. Ganze Krankenhäuser habe man auf die grüne Wiese gestellt und erst dann bemerkt, dass es keine Ärzte gab, die sie hätten betreiben können, sagt ein Vertreter der Medizintechnikindustrie.

Deutsche Medtech-Firmen haben gute Karten

Dennoch bleiben die Perspektiven positiv. Zum 1. Januar 2011 hat die russische Krankenversicherung die Beiträge um zwei Prozentpunkte erhöht. Die zusätzlichen Einnahmen sollen in die Modernisierung des Gesundheitswesens fließen.

57 Prozent der medizintechnischen Geräte im Land sind mehr als zehn Jahre alt. Bis zu 7,5 Milliarden Euro sollen deshalb in den Kauf von Medizintechnik fließen, kündigte Gesundheitsministerin Tatjana Golikowa an.

Eine große Chance für deutsche Medizintechnikunternehmen, die heute schon einen Marktanteil von 29 Prozent am russischen Import von medizinischer Technik halten. Das sieht auch Andreas Berns, Leiter von Siemens Healthcare Russia, so.

In den nächsten fünf Jahren werde die Nachfrage nach Onkologie-Technik und die Modernisierung der Krankenhäuser auf der Agenda stehen. In den kommenden zehn Jahren werde die IT-Infrastruktur für das Gesundheitswesen aufgebaut.

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