Branchenanalyse

Deutsche Biotechs in Startlöchern zum Börsengang

Licht und Schatten in der deutschen Biotech-Szene: Erstmals seit der Finanzkrise hat die Branche 2014 wieder mehr Geld in F&E gesteckt. Neugründungen wagen sich zunehmend gleich an die riskante Arzneimittelentwicklung. Venture Capital ist jedoch weiterhin Mangelware.

Christoph WinnatVon Christoph Winnat Veröffentlicht:
Antikörper-Aufreinigung bei MorphoSys, einem der wenigen Beispiele deutscher Biotechgründungen, die bereits in der Gewinnzone arbeiten.

Antikörper-Aufreinigung bei MorphoSys, einem der wenigen Beispiele deutscher Biotechgründungen, die bereits in der Gewinnzone arbeiten.

© Morphosys

FRANKFURT/MAIN. "Junge Branche mit alten Problemen": So bringt die Unternehmensberatung Ernst & Young ihren aktuellen Lagebericht zur heimischen Biotechbranche auf den Punkt.

An der "chronischen Unterfinanzierung der deutschen Biotech-Industrie hat sich bislang wenig geändert", konkretisiert Studienautor Siegfried Bialojan.

Bei einem Pressetermin in Frankfurt ließ der Berater zu Wochenbeginn jedoch auch Indikatoren für einen sich konsolidiernden Aufwärtstrend erkennen. Die Beschäftigung bei den Start-ups habe 2014 um vier Prozent auf knapp über 10.000 Mitarbeiter zugelegt.

Noch wichtiger aber sei, dass die Forschungsausgaben erstmals seit der Finanzkrise 2008 wieder anzogen: um fünf Prozent auf 812 Millionen Euro. "Da hat man sich schon Sorgen machen müssen, wenn eine innovative Branche nicht mehr in Forschung und Entwicklung investiert", kommentiert Bialojan die Flaute der vergangenen Jahre.

Ein weiterer Beleg, dass der Optimismus unter den Biotech-Gründern alles andere als zum Stillstand gekommen ist: Zwei Drittel der in den vergangenen beiden Jahren erfolgten 25 Neugründungen fanden laut Ernst & Young "ausgerechnet auf dem risikoreichsten Sektor, der Medikamentenentwicklung" statt.

Lediglich ein Drittel der Neugründungen wählte umsatzsichere Wege wie Auftragsforschung oder die Herstellung biotechnologischer Werkzeuge, etwa Gensonden oder Sequenzierenzyme.

Börsengänge nehmen deutlich zu

Um so wichtiger wird der Zugang zu Venture Capital. Ermutigend, so Analyst Bialojan, sei in diesem Zusammenhang die sowohl in den USA als auch in Europa spürbar anziehende IPO-Dynamik.

Wenn Börsengänge wieder ertragreich scheinen, verbessern sich für private Risikokapitalgeber die Exit-Perspektiven. Dadurch wächst tendenziell auch die Bereitschaft, Firmen in frühen Stadien mit Geld zu versorgen.

2014 verzeichnete Ernst & Young 63 Börsengänge von Biotechfirmen in den USA (22 mehr als im Jahr zuvor). Das brachte knapp fünf Milliarden Dollar, im Vorjahr waren es 3,3 Milliarden. In Europa gingen 31 IPOs über die Bühne (+23), die 1,9 Milliarden Dollar erlösten (2013: 0,3 Milliarden).

Auch die "lange Durststrecke ohne IPOs deutscher Biotechunternehmen seit 2006" ist zu Ende: Mit der Heidelberger Affimed und der sächsischen Probiodrug wagten 2014 immerhin zwei hiesige Therapeutika-Entwickler das Going Public.

Europäische IPOs überzeugen nicht

"Viele weitere Biotechs stehen in den Startlöchern zum Börsengang", versichert Branchenbeobachter Bialojan. Allerdings sei die Neigung groß, das Frankfurter Parkett zu meiden.

Bereits Affimed und Probiodrug hatten die US-Technologiebörse NASDAQ beziehungsweise die Amsterdamer Euronext vorgezogen. Hierzulande fehlten "Investoren und Analysten, die diesen Markt beurteilen können", bietet Bialojan als Erklärung an.

Jedoch seien in den USA die Hürden für ausländische Firmen, wahrgenommen zu werden, höher. Und auch unabhängig vom Ort ihrer Notierung sei für die jüngsten europäischen IPOs zu konstatieren, dass sie an der Börse "nicht überzeugen", den Anlegern also Kursverluste bescheren.

Damit gebe es "ein großes Fragezeichen", so Bialojan, ob die IPO-Welle unter den jungen Biotechs anhält.

Weitere Kennzahlen für die deutsche Biotechnologie: Die Anzahl der Unternehmen verringerte sich 2014 um ein Prozent auf 401. Zehn Neugründungen standen 17 Abgänge gegenüber.

Der Branchenumsatz ging um ein Prozent auf 1,15 Milliarden Euro zurück. Die Verluste nahmen um vier Prozent auf insgesamt -356 Millionen Euro zu.

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