Denunziation im Netz

Kassen-Pirsch auf korrupte Ärzte

Anschwärzen leicht gemacht: Auf der Website des GKV-Verbands können "tatverdächtige" Ärzte anonym denunziert werden. Drei Mausklicks genügen. Die KBV ist stinksauer. Das Verhältnis zwischen Ärzten und Kassen ist mehr und mehr zerrüttet.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Spitzel bei der Arbeit: Wo ist der korrupte Doktor?

Spitzel bei der Arbeit: Wo ist der korrupte Doktor?

© blickwinkel / imago

BERLIN. Die Debatten im Bundestag über ein Anti-Korruptionsgesetz für das Gesundheitswesen sorgen für weitere Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Kassen.

Jetzt hat KBV-Chef Dr. Andreas Köhler den GKV-Spitzenverband aufgefordert, nicht länger anonyme Bestechlichkeitsvorwürfe gegen Ärzte zu fördern. Ein Sprecher der Kassenseite betonte dagegen, die Möglichkeit anonym anzuzeigen sei notwendig.

Der Spitzenverband bietet seit drei Jahren auf seiner Internetseite ein Formular an, das jeder Internet-Besucher dazu nutzen kann, anonym Hinweise auf Fehlverhalten von Ärzten zu geben.

Im Text des Formulars tauchen die Begriffe "Tatort", "Tatzeit" und "Tatverdächtiger" auf. Für Köhler steckt darin eine "populistische Vorverurteilung aller ehrlich arbeitenden Ärzte und Psychotherapeuten".

Der Spitzenverband solle die Hürden für Anzeigen höher legen. Wer ein Vergehen melden wolle, solle sich auch zu erkennen geben und für Rückfragen zur Verfügung stehen, forderte Köhler am Freitag.

Das gegenwärtige Angebot lade zu Missbrauch und zur Verunglimpfung der Ärzte und Psychotherapeuten ein. Die Kassen sollten auf die diskriminierende Wortwahl in ihren Formlaren verzichten, schloss sich der Vorsitzende der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, Köhlers formaler Kritik an.

Dass es einen direkten Weg gebe, ärztliches Fehlverhalten den Kassen zu melden, sei richtig. Dass das Angebot aber ausschließlich auf Bestechlichkeit fokussiert, hält Brysch für weltfremd.

Beispiel Transplantationsmedizin

Aus seiner Sicht wichtiger wäre ein Meldeverfahren für Fehlbehandlungen und falsche Rechnungsstellungen. Anonyme Anzeigen gehören aber auch zum Instrumentarium der Äerzteschaft.

Nach den Transplantationsskandalen der vergangenen Monate hat die Prüfungs- und die Überwachungskommission eine unabhängige Vertrauensstelle "Transplantationsmedizin" eingerichtet. Hier sollen, auch anonym, Auffälligkeiten und Verstöße gegen das Transplantationsrecht gemeldet werden können.

Es sei erstaunlich,dass die KBV das Hinweisgeber-Formular erst nach drei Jahren entdeckt habe, kommentierte der Pressesprecher des GKV-Spitzenverbandes, Florian Lanz, den Vorstoß Köhlers.

"Es ist bedauerlich, dass die KBV an der Legende von den verunglimpften Ärzte festhält," sagte Florian Lanz. Die vielen ehrlichen Ärzte und anderen Leistungserbringer hätten es verdient, dass sich alle Institutionen ernsthaft gegen die Aktivitäten der schwarzen Schafe im Gesundheitswesen engagierten.

Den Schutz der Anonymität der Hinweisgeber begründete Lanz wie folgt: "Mindestens so lange, wie Mitarbeiter, die ihren Arbeitgeber wegen Fehlverhaltens anzeigen, entlassen werden können, ist die Möglichkeit der anonymen Meldung notwendig."

Wie oft das Formular genutzt wird, ist unbekannt. Man könne aber sagen, dass es seit Bestehen des Online-Formulars einen deutlichen Anstieg gegeben habe, hieß es auf Anfrage der "Ärzte Zeitung".

Ausmaß von Korruption unbekannt

Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) plant, noch in dieser Legislaturperiode einen Straftatbestand zur Bestechung und Bestechlichkeit von Leistungserbringern im Gesundheitswesen ins Sozialgesetzbuch V aufzunehmen.

Die Opposition plädiert dagegen für eine Verankerung der Sanktionen für Korruption im Gesundheitswesen im Strafrecht.

Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) ist Korruption niedergelassener Ärzte derzeit nicht strafbar, weil Ärzte keine Beauftragte der Krankenkassen seien.

Dass es Fälle von Bestechung und Bestechlichkeit auch unter Ärzten gibt, ist unbestritten. Das Ausmaß ist allerdings unbekannt. Der Bericht des Bundesgesundheitsministeriums zum Fehlverhalten im Gesundheitswesen, der auf Daten aus einer Umfrage beim GKV-Spitzenverband sowie den Kassen- und Kassenzahnärztlichen Vereinigungen beruht, gibt nur bedingt Aufschluss.

In den Jahren 2010 und 2011 hat es demnach 53.000 Verdachtsfälle gegeben, unter denen auch Doppelzählungen sein dürften. 2600 Fälle wurden an die Staatsanwaltschaften weitergegeben. 41 Millionen Euro haben die Kassen zurückerstattet beklommen.

Grundlage der aktuellen Debatte ist der Ratiopharm-Skandal. Die Pharmaindustrie hat angekündigt, in absehbarer Zeit alle Beziehungen zwischen Unternehmen und Ärzten offen zu legen.

Schon einmal Ärger über Meldesystem

Ärger über anonyme Meldesysteme von Krankenkassen ist vielen Ärzten in Rheinland-Pfalz noch vertraut. 2005 richtete die AOK auf ihrer Internetseite die Möglichkeit ein, Ärzte anonym anzuschwärzen.

Nach heftigen Protesten wurde ein Kompromiss gefunden. Anonym gemeldet werden konnte weiterhin, aber Kasse und KV vereinbarten sich auszutauschen und gemeinsam vorzugehen, wenn sie glaubwürdige Hinweise auf Fehlverhalten erhielten.

Das Umdenken der Kasse wurde damals durch die Drohung einiger Ärztenetze beschleunigt, die Verträge zu DMP der AOK zu kündigen. (chb)

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