LSG Stuttgart

Honorarärzte erneut infrage gestellt

Das Hickhack um Honorarärzte geht weiter: Bei der Gesetzesänderung, die ihren Einsatz in Kliniken erlauben sollte, stellt sich das Landessozialgericht Stuttgart quer. Die Auslegung der Richter hätte erstaunliche Folgen für die Krankenhäuser - sie überzeugt aber nicht.

Von Ingo Pflugmacher Veröffentlicht:
Auf Honorarärzte können viele Kliniken nicht verzichten.

Auf Honorarärzte können viele Kliniken nicht verzichten.

© Franck Boston/fotolia.com

BONN. Spätestens mit der Anfang 2013 in Kraft getretenen Änderung des Paragrafen 2 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) wurde die Tätigkeit von Honorarärzten, also freiberuflichen Ärzten, die fallweise oder regelhaft für Krankenhäuser tätig werden, erlaubt.

Man könnte den Eindruck gewinnen, der Gesetzgeber habe ein lange währendes Problem endlich gelöst. Allerdings wurde die Rechnung ohne das Landessozialgericht Stuttgart gemacht.

In einer bisher kaum beachteten Entscheidung vom April (L 5 R 3755/11) begründet das LSG auf 30 Seiten seine Auffassung, wonach eine freie Mitarbeit bei der Erbringung von Krankenhausleistungen unzulässig sei und insbesondere der Einsatz von Honorarärzten zur Einsparung eigenen Personals oder auch nur zur Vertretung von urlaubs- oder krankheitsbedingt abwesenden angestellten Ärzten nicht möglich sei.

Der 5. Senat des LSG Stuttgart sorgt mit dieser Entscheidung nicht nur für Sprengstoff, er zeigt auch, wie Gerichte einen Gesetzeswortlaut sezieren.

Was sind "nicht fest Angestellte"?

Paragraf 2 Abs. 1 KHEntgG wurde zum Jahresanfang dahin gehend geändert, dass Krankenhausleistungen auch ärztliche Behandlungen, "durch nicht fest angestellte Ärztinnen und Ärzte", sind.

Beobachter gingen davon aus, dass mit den Worten "nicht fest angestellt" freiberufliche Ärzte gemeint sind, die rechtlich mittels Dienstvertrag, nicht mittels Arbeitsvertrag tätig werden.

Dies war auch der Wille des Gesetzgebers, der die Änderung damit begründet, dass die Erbringung von Krankenhausleistungen nicht davon abhängen könne, ob die Ärzte im Beamten- oder Angestelltenverhältnis oder aufgrund einer sonstigen Vertragsbeziehung tätig werden.

Wörtlich enthält die Gesetzesbegründung die Feststellung, dass es nicht geboten ist, die Tätigkeit von niedergelassenen Ärzten in Kliniken nur über ein Anstellungsverhältnis zu gestatten. "Nicht fest angestellt" wurde also als Gegensatz zur Anstellung, also zu einem Arbeitsvertrag, verstanden.

Ganz anders das LSG: "Nicht fest Angestellte" seien immer noch Angestellte, anderenfalls hätte es des Wortes "fest" nicht bedurft.

Zulässig sei durch die Neufassung allein die Tätigkeit befristet angestellter oder zur Aushilfe angestellter Ärzte geworden.

Auslegung des LSG überzeugt nicht

Diese Auslegung geht an der Realität und dem Sprachgebrauch vorbei. Der Gesetzgeber wollte mit der Änderung des Paragrafen 2 KHEntgG Klarheit schaffen.

Es bestand aber keine Unklarheit, ob Ärzte von einer Klinik befristet beschäftigt werden dürfen. So ist zum Beispiel das ärztliche Personal von Unikliniken seit Jahrzehnten ganz überwiegend befristet angestellt, niemand hat bisher behauptet, dies sei unzulässig gewesen.

Gleiches gilt für die Beschäftigung von angestellten Aushilfen. Der Duden erläutert den Begriff "fest angestellt" als Alternative zur "freien Mitarbeit", schließlich verwenden sogar andere Landessozialgerichte den Begriff der "fest angestellten Mitarbeiter" in Abgrenzung zum Freiberufler (LSG Hamburg, L 2 R 13/09).

Auch das Bundesgesundheitsministerium äußert sich eindeutig: So spricht das BMG von "fest Angestellten einschließlich befristeter Verträge" in Abgrenzung von solchen Personen, die auf Honorar- beziehungsweise Rechnung tätig werden.

Die Auslegung des neuen Gesetzeswortlautes durch das LSG überzeugt nicht. Noch problematischer ist die weitere Auffassung des LSG, wonach ein Krankenhaus nicht berechtigt sei, freiberufliche Ärzte als Vertretung urlaubs- und krankheitsbedingt abwesender Mitarbeiter einzusetzen.

Das LSG begründet diese Auffassung damit, dass eine Klinik das zur Wahrnehmung ihres Sicherstellungsauftrages erforderliche ärztliche Personal anstellen oder im Beamtenverhältnis beschäftigen müsse.

Erstaunliche Konsequenzen

Hätte das LSG Recht, wären die Konsequenzen erstaunlich: Ein Haus müsste entweder für jeden Fall eines urlaubs- oder krankheitsbedingten Personalengpasses "doppelte" Personalstrukturen vorhalten oder die Versorgung im Falle eines solchen Engpasses einstellen, da es keine Honorarärzte hinzuziehen darf.

Das Vorhalten mehrfacher Personalstrukturen ist wirtschaftlich unmöglich. Das vollständige Einstellen der stationären Versorgung bei einem Engpass mit der Begründung, der Sicherstellungsauftrag erlaube keine Tätigkeit von Honorarärzten, wäre paradox.

Der Sicherstellungsauftrag wird stärker beeinträchtigt, wenn ein Krankenhaus vollständig schließt, als wenn es während der Krankheit eines oder mehrerer angestellter Ärzte einen Honorararzt hinzuzieht.

Die - lesenswerte - Entscheidung des LSG Stuttgart geht noch auf andere Detailfragen ein, etwa ob auch der nicht niedergelassene Arzt, also derjenige ohne Praxistätigkeit, Honorararzt sein könne.

Die Entscheidung liest sich wie eine "Vorlage an das Bundessozialgericht", damit eine höchstrichterliche Klärung erfolgen kann. Dementsprechend hat das LSG auch die Revision zugelassen. Ob diese eingelegt wurde, ist bisher nicht bekannt.

Der Streit geht weiter

Fazit: Entgegen der nahezu einhelligen bisherigen Auffassung dürfte der Streit um die Tätigkeit von Honorarärzten noch nicht beendet sein.

Das LSG Stuttgart hat die Büchse der Pandora geöffnet. Wann sie durch das BSG oder den Gesetzgeber wieder geschlossen wird, ist völlig offen.

Das Urteil ist erneut ein schönes Beispiel für ein seit einigen Jahren im Sozialrecht zunehmend zu beobachtendes Phänomen: Die Rechtsprechung interpretiert Gesetze in einer Weise, die dem Gesetzgeber missfällt, dieser ändert dann das Gesetz.

Nach der Gesetzesänderung wird die Neufassung wiederum durch die Gerichte auf den Prüfstand gestellt, ob sich denn tatsächlich eine Änderung der Rechtslage ergeben habe.

Die Frage des zulässigen Umfangs der Nebentätigkeit eines Vertragsarztes (13 Wochenstunden oder mehr?) könnte das nächste Beispiel sein. Die Gewaltenteilung ist gut und richtig, die Planungssicherheit für Ärzte und Krankenhäuser hat aber auch einen Wert.

Der Büchse der Pandora entstieg bekanntlich als Letztes die Hoffnung. Warten wir es also ab.

Dr. Ingo Pflugmacher ist Fachanwalt für Medizin- und Verwaltungsrecht und Partner der Kanzlei Busse & Miessen in Bonn.

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