Praxis-Preis

Innovative Ärzte müssen dicke Bretter bohren

Pfiffige Ideen und innovative Versorgungskonzepte sind angesichts des demografischen Wandels mehr denn je gefragt. Viele Ärzte stellen sich der Herausforderung und entwickeln Ideen, die den Praxisalltag erleichtern oder die Versorgung der Patienten verbessern. Die Diskussion mit den drei Preisträgern bei der Verleihung des ErfolgsRezept Praxis-Preises in Berlin zeigte aber auch die Hürden, die Ärzte dabei zu überwinden haben.

Julia FrischVon Julia Frisch und Hauke GerlofHauke Gerlof Veröffentlicht:
Die Preisträger: Dr. Susanne Nolof (3.v.l.) mit ihren Rheuma-Fachassistentinnen Brigitte Meseck und Birgit Möller (links); Dr. Wolfgang Landendörfer und IT-Entwickler Daniel Schlosser (3. und 2. v.r.) von PädExpert; ganz rechts hausarzt und Urologe Dr. Jörg Sandmann

Die Preisträger: Dr. Susanne Nolof (3.v.l.) mit ihren Rheuma-Fachassistentinnen Brigitte Meseck und Birgit Möller (links); Dr. Wolfgang Landendörfer und IT-Entwickler Daniel Schlosser (3. und 2. v.r.) von PädExpert; ganz rechts hausarzt und Urologe Dr. Jörg Sandmann

© Georg Moritz

BERLIN. Wenn es im Praxisalltag brennt oder einer besseren Versorgung der Patienten dient, sind Ärzte äußerst kreativ – und das in den unterschiedlichsten Feldern. Das hat einmal mehr der Erfolgs-Rezept Praxis-Preis gezeigt, der am vergangenen Freitag von UCB Innere Medizin und Springer Medizin/"Ärzte Zeitung" vergeben worden ist.

Sei es der Einsatz von Telemedizin, um bei komplizierten Fällen direkt einen Spezialisten zu konsultieren, statt lange Wartezeiten für den Patienten in Kauf zu nehmen; sei es die Unterstützung schwer chronisch Erkrankter, indem die Ärztin ihren Patienten neue Wege menschlicher Anteilnahme und Hilfe weist; oder sei es das Beseitigen von Schwachstellen im Praxisalltag, zum Beispiel bei der Überleitung von Notfallpatienten vom Hausarzt in die Klinik.

Ganz unterschiedliche Ansätze

Mit diesen so unterschiedlichen Ansätzen haben drei Bewerber um den Praxis-Preis, Dr. Wolfgang Landendörfer, Dr. Susanne Nolof und Dr. Jörg Sandmann, bei Jury und Lesern der "Ärzte Zeitung" gepunktet und dadurch die Preise im Wettbewerb gewonnen (nähere Informationen zu den Preisträgern siehe unten).

Die Diskussion im Anschluss an die Preisverleihung machte dann den Antrieb für die innovativen Ärzte deutlich: den Praxisalltag effizient zu gestalten, um so die Versorgung der Patienten zu verbessern.

Mehrwert für Patienten schaffen, das sah auch Karlheinz Gast, Geschäftsführer UCB Innere Medizin, als richtigen Weg in die Zukunft. "Wir sind als pharmazeutisches Unternehmen der Meinung, dass für einer besseren Patientenversorgung, neben effektiven Medikamenten, eine optimale Patientensteuerung eine wichtige Rolle spielt", sagte Gast in Berlin. Dazu gehöre zum Beispiel eine Steigerung der Adhärenz der Patienten und dadurch eine verbesserte Prognose im Krankheitsverlauf. Denn es könne nur wirken, was auch eingenommen wird. Ärzte hätten für eine gezielte Patientensteuerung den Schatz an Informationen in der Praxis-EDV. Diesen gelte es zu heben und ihn besser zu nutzen als bisher, so Gast weiter. Gerade hier liegt allerdings noch einiges im Argen, zeigte sich bei der Diskussion.

Noch nicht im 21. Jahrhundert

So fühlt sich Dr. Jörg Sandmann, Allgemeinmediziner und Urologe aus Travemünde, mit seiner Praxis-EDV noch überhaupt nicht im 21. Jahrhundert angekommen. "Da sind wir oft noch 1977", ärgert sich der niedergelassene Mediziner, der sich in seinen Praxisabläufen gerne von Technik unterstützen lässt und sein selbst entwickeltes Notfallprotokoll gerne in der Praxis-EDV als Makro umgesetzt sähe, um die Eingabe der Daten zu erleichtern und zum Beispiel Daten direkt aus der Kartei des Patienten zu übernehmen. Sandmann beschrieb den Alltag, der für IT-affine Ärzte häufig noch frustrierend ist:

» Arztbriefe aus der Klinik kämen in der Regel handschriftlich und unleserlich in die Praxis;

» die Software-Updates funktionierten "nie" sofort;

» in den DMP-Modulen der Praxis-EDV müsse er sich "zu Tode klicken", weil etwa die Medikation aus der Kartei nicht übernommen wird, sondern jedes Mal aufs Neue von den Medizinischen Fachangestellten eingegeben werden muss.

Es sei höchste Zeit, neue Ansätze für die Programmierung umzusetzen. "In keiner anderen Branche würde man sich mit solch schlechtem Handwerk abgeben", schimpfte Sandmann.

Von Hard- und Software-Problemen berichtete auch Dr. Susanne Nolof, die für ihre Idee einer Patienten-Patenschaft für chronisch Kranke auf den ersten Platz im Wettbewerb gewählt worden ist. Die Internistin und Rheumatologin gehörte mit ihrer großen Gemeinschaftspraxis in Elmshorn zu den Pionieren der Gesundheitskarte und machte dabei leidvolle Erfahrungen. Die Test-Lesegeräte für die eGK hätten die Plastikkarten direkt geschrottet. Und beim jetzigen Medikationsplan gebe es Probleme beim Einscannen von Kopien, berichtet Nolof.

Dr. Wolfgang Landendörfer, Pädiater aus Nürnberg und für die Entwicklung eines telemedizinischen Konsiliararzt-Systems ebenfalls auf Platz eins gewählt, rettete sich in Ironie: "Freuen wir uns auf die Zukunft, wenn wir die Praxis-EDV in Zukunft vierwöchentlich updaten müssen. Dann funktioniert es eben alle vier Wochen nicht, statt wie bisher einmal im Quartal."

Kaum Hilfe von der KV?

Unter solchen Voraussetzungen sei die Einführung innovativer Versorgungskonzepte schwierig. "Die EDV behindert uns oft mehr, als dass sie uns unterstützt", sagte Sandmann. Von der Kassenärztlichen Vereinigung sei keine nennenswerte Hilfe zu erwarten. "Die KV ist meilenweit von dem entfernt, was läuft."

Sein Kollege Landendörfer beschrieb dagegen die Zwänge, in denen die KVen als öffentlich-rechtliche Körperschaft stecken. "Ich würde mir wünschen, dass die KVen mehr Freiheitsgrade bekommen, um uns mehr vertreten zu können." Auch Professor Ralph Tunder, Jury-Mitglied und Leiter des Health Care Management Institutes an der EBS Universität für Wirtschaft und Recht, hielt es für notwendig, dass die Ärzteschaft geschlossen auftritt und für die "Hilfsmittel der medizinischen Versorgung" Standards fordert. Diese fehlten bisher.

Wie Deutschland in Sachen Digitalisierung hinterherhinkt, verdeutlicht Ralph Tunder an folgendem Beispiel: "In Dänemark ist es verboten, Rezepte auf Papier auszustellen. In Deutschland sind dagegen E-Rezepte verboten." Nach wie vor agiere das deutsche Gesundheitssystem hauptsächlich offline. Die Gründe dafür: Noch immer gebe es keine flächendeckende Telematikinfrastruktur. Zudem, so Tunder, "fehlen geeignete Verfahren zur Kategorisierung, Zulassung und Erstattung digitaler Anwendungen". Innovative Ärzte müssen also weiter dicke Bretter bohren, um den gesuchten Mehrwert für ihre Patienten zu erreichen.

Lesen Sie dazu auch: Förderung: Innovationen sind nicht nur eine Frage der Kostensenkung

Der erste Platz (I)

Telekonsilsystem Pädexpert: Schnelle Diaganose, hohe Datensicherheit

Preisträger: Dr. Wolfgang Landendörfer, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Nürnberg

Die ausgezeichnete Idee: Telemedizinisches Konsiliararztsystem „PädExpert“

Der Grund für die Innovation: Die Wege zu den kinderärztlichen Spezialisten sind in Bayern oft lang. Das wiederum verzögert Diagnosen und verhindert rasche Therapien. Zudem, sagt Dr. Wolfgang Landendörfer: „In Bayern war die Telemedizin nur rein geriatrisch ausgerichtet. Das wollten wir so nicht hinnehmen.“ Mit einem Team des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) entwickelte er ab 2013 „PädExpert“ – finanzielle Unterstützung kam vom Bayerischen Gesundheitsministerium.

So funktioniert’s: Über gesicherte Verbindungen können hausärztlich tätige Pädiater besonders seltenen oder chronischen Krankheitsbildern Rat von Spezialisten einholen. Die dafür nötigen Informationen (Bilder, medizinische und persönliche Daten) werden datenschutzrechtlich abgesichert übertragen.

Erfolge: Im Schnitt kommt die Diagnose über PädExpert nach 8,5 Tagen. In vergleichbaren Fällen dauert es ohne das telemedizinische Konsil rund 25 Tage. 96 Experten bundesweit beteiligen sich an dem Projekt momentan, die Zahl wächst. 32 Indikationen sind bereits programmiert. Mit drei Kassen bestehen Verträge. (juk)

Der erste Platz (II)

Patienten helfen Patienten – Königsweg für den Umgang mit schwerer Krankheit

Preisträgerin: Dr. Susanne Nolof, Fachärztin für Innere Medizin und Rheumatologie, Elmshorn.

 Die ausgezeichnete Idee: Patenschaft für schwer erkrankte Patienten mit rheumatischen Erkrankungen.

Der Grund für die Innovation: „Viele Patienten erleben nach der Erstdiagnose eine Berg- und Talbahn“, sagt Dr. Susanne Nolof. Gleichzeitig sieht sie aber auch, dass es vielen – wenn auch erst nach langer Zeit – gelingt, wieder eine gewisse Lebensqualität zu erreichen oder trotz Erkrankung erfolgreich im Beruf zu sein. Wie sie das geschafft haben, sollen die Patienten weitererzählen – gewissermaßen als Mutmacher.

So funktioniert’s: Dr. Susanne Nolof fragt ihre „erfolgreichen“ Patienten, ob sie bereit sind, eine Patenschaft zu übernehmen für einen Neu-Patienten. Dieser entscheidet dann, ob er mit dem Paten in Kontakt treten will. In dem Fall gibt der Pate Erfahrungen, wie er sein Leben trotz Rheuma meistert, an ihn weiter.

Erfolge: Das Paten-Projekt hat sich weiterentwickelt. Das „Miteinandergefühl“ (Nolof) hat bei weiten Anfahrtswegen etwa Fahrgemeinschaften jüngerer mit älteren Patienten entstehen lassen. Auch heimische Infrarot-Kabinen werden inzwischen geteilt. Außerdem, so Nolof: „Die Patenschaft erhöht die Compliance bei Neupatienten und entlastet die Praxis, weil nicht mehr alle Fragen an uns herangetragen werden.“ (juk)

Der zweite Platz

Hilfe für Hausärzte bei der Dokumentation von Notfällen

Preisträger: Dr. Jörg Sandmann, Facharzt für Allgemeinmedizin und Urologie, Travemünde.

Die ausgezeichnete Idee: elektronisches Notfallprotokoll für die allgemeinärztliche Praxis und Hausbesuche.

Der Grund für die Innovation: In der Praxistätigkeit eines Hausarztes gibt es zwar nicht so viele Notfälle, dafür aber ein weites Spektrum an Notfällen. „Geringe Routine und große Vielfalt – kann das gut gehen?“, fragte sich Dr. Jörg Sandmann. Um Allgemeinmedizinern zu helfen, nichts zu übersehen oder zu vergessen bei der Überweisung von Notfall-Patienten, entwickelte er das ABCDE-Schema für die Hausarztpraxis weiter.

So soll es funktionieren: Das Dokumentationsschema ist als Makro in die Praxis-EDV integriert. Wird es geöffnet, gibt es dem Arzt einen festen Ablauf von Abfragen und Formularen vor, außerdem werden Daten so weit wie möglich automatisiert aus der Praxis-EDV zusammengeführt und bei Bedarf ergänzt. Zentrales Element ist das Notfallprotokoll, das der Arzt „abarbeiten“ muss. In ihm wird strukturiert nach Notfallgeschehen, Symptomen und Verletzungen gefragt. Der Arzt muss aber auch ankreuzen, ob der Patient ihm bekannt ist, eine Patientenverfügung existiert oder welche Angehörigen informiert werden.

Vorteile: Wertvolle Informationen gehen dank struktureller Erfassung nicht verloren. (juk)

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