Medizinethik

EU macht KI zur Gretchenfrage

Die EU will die KI-Akteure an die Kette legen – im Gegensatz zu China. Die Kommission feilt an ethischen Leitlinien für eine „vertrauenswürdige KI“.

Matthias WallenfelsVon Matthias Wallenfels Veröffentlicht:
Ein großes Thema: Alle reden von der Digitalisierung. Die EU will ethisch korrekte KI aufbauen.

Ein großes Thema: Alle reden von der Digitalisierung. Die EU will ethisch korrekte KI aufbauen.

© sdecoret / stock.adobe.com

Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat frühzeitig das Machterhaltungs- und Kontrollpotenzial erkannt, das ihm die Künstliche Intelligenz (KI) bietet. So basiert das im Westen umstrittene Sozialpunktekonto, mit dem alle Chinesen im Reich der Mitte zum gläsernen Bürger werden sollen – wer zum Beispiel Arztrechnungen nicht bezahlt, hat Sanktionen wie Flugverbote zu befürchten – auf KI, die die totale Kontrolle des Milliardenvolks ermöglichen soll.

Dass Xi von Allmachtsfantasien getrieben ist, beweist nicht zuletzt der von ihm 2015 vorgelegte Masterplan „Made in China 2025“: Bis 2025 soll China weltweit führend in vielen innovativen Kerntechnologiefeldern werden – unter anderem in der Medizintechnik und -robotik, der Biotechnologie sowie der KI.

Angesichts des auf einer laxen Daten- und Persönlichkeitsschutzgesetzgebung fußenden sowie hemmungslos mit staatlichen Fördermitteln unterstützten, globalen KI-Eroberungsfeldzugs der Chinesen stellt sich für die Europäische Union (EU) die essenzielle Frage, wie sie die Rahmenbedingungen für KI made in Europe ausgestalten will – Wettbewerb mit China auf Augenhöhe und ohne ethische Grenzen oder innovationszentrierte KI mit hohem ethischen und rechtlichen Anspruch?

Letzteres wird wohl die Antwort sein, die die EU auf die KI-Gretchenfrage geben wird. Ablesbar ist dies unter anderem an der im vergangenen Jahr verabschiedeten deutschen KI-Strategie, die die Ethik auch im europäischen Kontext an zentraler Stelle verortet, sowie an dem vor Kurzem von der hochrangigen Expertengruppe für Künstliche Intelligenz (AI HLEG) im Auftrag der Europäischen Kommission vorgelegten, ersten Entwurf ihrer Ethik-Leitlinien für die Entwicklung und Nutzung von KI.

Nutzen-Risiken-Abwägung

Endgültig beschlossen werden sollen die KI-Leitplanken der EU-Kommission im März. Die unabhängige Expertengruppe mit Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat sich in ihren Ausführungen einen klaren Zielauftrag gestellt. „Unter der Prämisse, dass der Nutzen der KI ihre Risiken überwiegt, müssen wir sicherstellen, dass wir dem Ansatz folgen, den Nutzen der KI zu maximieren, während wir deren Risiken minimieren“, so die AI HLEG. „Diese Leitlinien stecken dafür den Ordnungsrahmen für eine vertrauenswürdige KI ab“, postulieren die Experten ergänzend.

Als europaweit zu konsentierendes KI-Verständnis sehen die Experten die Auffassung, dass KI hilft, die Lebensqualität zum Beispiel durch die personalisierte Medizin oder durch das effizientere Erbringen von Gesundheitsdienstleistungen zu verbessern. Im Kern geht es bei dieser Sichtweise um die Kosteneffizienz sicherer Gesundheitssysteme, für die unter anderem von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) auch die Nutzung von Big Data, Genomics sowie Künstlicher Intelligenz dringend angeraten wirdLetztere werden von wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Forschungsseite unter dem Stichwort Präzisionsmedizin als einer der wichtigsten medizinischen Gesundheitstrends weltweit gesehen.

Des Weiteren solle KI, so die AI HLEG, dazu beitragen, das von den Vereinten Nationen proklamierte Ziel der nachhaltigen Entwicklung zu erreichen, aber auch im Kampf gegen den Klimawandel zu helfen. Weitere Themen sind KI-gestützte Verkehrsinfrastrukturlösungen sowie Mobilität.

Generell gelte: „Künstliche Intelligenz ist kein Zweck an sich, sondern vielmehr ein Mittel, um das individuelle wie gesellschaftliche Wohlergehen zu vermehren. In Europa wollen wir solche Ziele mit Hilfe vertrauenswürdiger KI erreichen.“

Ethik-Leitlinien nur ein Teil in Europas KI-Puzzle

Die EU läuft bei ihrem Streben nach einer vertrauenswürdigen KI made in Europe Gefahr, als global bedeutender Innovationsstandort an Bedeutung zu verlieren, wenn die ethische Schraube überdreht wird. Dazu kommt, dass das Fundament für die Ausformung des europäischen KI-Gedankens auf der Ebene der Mitgliedstaaten noch nicht ganz ausgegossen ist, viele Länder noch nicht einmal eine eigene, nationale KI-Strategie verabschiedet haben.

Wie es von EU-Seite heißt, sollen bis Mitte dieses Jahres alle Mitgliedstaaten über eigene Strategien verfügen, in denen die Höhe der Investitionen und die Umsetzungsmaßnahmen umrissen werden – damit diese dann in die Diskussionen auf EU-Ebene einfließen können.

Da die Mühlen der EU – systemimmanent bedingt – langsam mahlen und KI in vielen Mitgliedstaaten noch keine nennenswerte wirtschaftliche Rolle spielt, dürften – trotz aller Bekundungen zum europäischen Gedanken – notwendige nationale Alleingänge an der Tagesordnung liegen.

Deutschland will sich hier auch im Bereich Medizin rechtzeitig im Markt positionieren – zum Beispiel im Raum Stuttgart/ Tübingen mit dem Cyber Valley, Deutschlands KI-Nabel .

Mehr zum Thema

Chronische Lungenerkrankungen

Mit KI gegen die COPD

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Führen den BVKJ: Tilo Radau (l.), Hauptgeschäftsführer, und Präsident Michael Hubmann im Berliner Büro des Verbands.

© Marco Urban für die Ärzte Zeitung

Doppel-Interview

BVKJ-Spitze Hubmann und Radau: „Erst einmal die Kinder-AU abschaffen!“

Diakonie-Präsident Rüdiger Schuch.

© Rolf Schulten

Interview

Diakonie-Präsident Schuch: Ohne Pflege zu Hause kollabiert das System