Wie das Krokodil in die Apotheke kam

Je seltener ein Tier oder eine Pflanze, desto stärker galt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die Heilwirkung. Die Naturschätze, aus denen Wundermittel hergestellt wurden, wurden in der Offizin oft in Wunderkammern präsentiert - als erfolgversprechendes Marketingkonzept.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:
Ein Krokodil gehörte früher zu einer hochkarätigen Apotheke.

Ein Krokodil gehörte früher zu einer hochkarätigen Apotheke.

© Foto: ug

Heute gibt es kaum eine historische Apotheke ohne ausgestopftes Krokodil an der Decke. Denn das Reptil war exotisch, und alles Exotische galt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit als besonders heilkräftig. So mussten auch Krokodile für die beliebten Wundermittel herhalten. Apotheker, die sich als Wissenschaftler ausweisen wollten, stellten besonders gerne Exotisches in ihrer Offizin aus, darunter Gürteltiere, Schildkrötenschalen, Einhörner, also die Stoßzähne von Narwalen, Schlangen, Klauen von Elchen, Hörner von Nashörnern, Straußeneier, Korallen, Elfenbein, Perlmutter und Kokosnüsse. Auch Mumienteile waren in den "Kunst- und Wunderkammern" der Apotheker zu sehen - und wurden ebenfalls zu Heilmitteln verarbeitet, berichtet Mag.pharm. Dr. Monika Winkler-Kaufmann aus Innsbruck, die das Thema in ihrer Dissertation untersucht hat. Die zur Schau gestellten Natur-Schätze hätten auch der Demonstration der sozialen Stellung des Apothekers gedient und seien Ausdruck der Zugehörigkeit seiner Berufsgruppe zu den führenden Gelehrten der Zeit gewesen.

Benzoate wurden als Antidote geschätzt

Als besonders mystisch und deshalb sehr wirkungsvoll galten auch Bezoare. So sollten sie vergiftete Getränke entgiften können - deshalb wurden sie besonders an den europäischen Fürstenhöfen dieser Zeit geschätzt, wo man sich nie sicher war vor vergiftetem Wein. Ein Bezoar ist ein Ball aus verschluckten, aber unverdaulichen Materialien von Beutetieren wie Haaren, der im Magen von Greifvögeln oder Katzen gebildet und dann ausgewürgt wird.

Heilmittel aus Exotika boomten besonders im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts. Als Folge der Entdeckung der Neuen Welt wuchs der Arzneimittelschatz beträchtlich. Dabei sei die Grenze zwischen Arzneidroge und sammelnswerter Rarität fließend gewesen, so Winkler-Kaufmann. Die Apotheker setzten sich zu dieser Zeit intensiv mit den neuen Materialien auseinander.

Waren die kostbaren exotischen Stücke nicht zu bekommen, wurde nach heimischem Ersatz gesucht. So galt in Tirol und Salzburg das Horn des Steinbocks als wertvoller Ersatz für das Horn des Nashorns. Steinbockhorn sollte bei Beschwerden an Knien, Knochen, Gelenken und Haut, bei Fieber und gegen Gifte helfen. In Milch gekocht galt es als wirksam gegen Koliken.

Nicht nur Animalia, also Drogen aus dem Tierreich, sondern auch Vegetabilia, Drogen aus dem Pflanzenreich, wurden zu mystischen Allheilmitteln verarbeitet. Bestes Beispiel ist das geheimnisvollste aller Wundermittel: der Theriak. Ärzte der griechischen Antike versuchten Patienten, die von giftigen Schlangen gebissen worden waren, mit einer Mixtur aus Anis, Fenchel und Kümmel zu heilen. Dieses Antidot wurde Theriak genannt. Im Lauf der Jahrhunderte wurde die Rezeptur immer komplizierter und soll auf bis zu 300 Inhaltsstoffe erweitert worden sein, so verschiedene Quellen. Darunter waren Enten- und Vipernblut, Schlangen- und Krötenfleisch. Später kam auch Opium hinzu.

Theriak war eine besonders beliebte Medizinmixtur

Vor allem im Mittelalter galt Theriak als Heilmittel gegen alle Krankheiten. Auch gegen Pest, Cholera und Syphilis wurde er eingesetzt. Die Behandelten fühlten sich dann sofort besser - was vermutlich am Opium-Bestandteil des Theriak lag.

Bis ins 19. Jahrhundert finden sich in medizinischen und pharmakologischen Lehrbüchern die unterschiedlichsten Rezepturen für Theriak. Die "Pharmacopoea germanica" von 1882, die erste gesamtdeutsche Vorschrift für die Arzneibereitung, gibt zum Beispiel als Rezept an: 1 Teil Opium, 3 Teile spanischen Wein, 6 Teile Angelikawurzel, 4 Teile Schlangenwurzel, 2 Teile Baldrianwurzel, 2 Teile Meerzwiebel, 2 Teile Zitwerwurzel, 9 Teile Zimt, 1 Teil Kardamom, 1 Teil Myrrhe, 1 Teil Essigvitriol und 72 Teile Honig.

Heute wird bezweifelt, dass Theriak eine echte Heilwirkung hat. Dennoch wird es noch immer hergestellt und in verschiedenen Rezepturen genutzt - allerdings ohne Opium.

Anekdoten

Biber wurden in Mitteleuropa fast ausgerottet, weil das Sekret, das sie zur Paarungszeit ausscheiden, in der Volksmedizin so begehrt war. Es gab über 200 Rezepte mit dem Bibergeil. Noch bis vor 150 Jahren wurde das Sekret fast mit Gold aufgewogen. Erst 1891 verschwand es aus dem Deutschen Arzneibuch.

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