Salicylat-Renaissance dank Napoleon

Als vor 110 Jahren das Schmerzmittel Aspirin® sein Warenzeichen erhielt, ahnte niemand, dass das Mittel einen Siegeszug um die Welt antreten würde, der bis heute anhält.

Von Ursula Armstrong Veröffentlicht:

Im März 1899 wurde Aspirin® in die Warenzeichenrolle des Kaiserlichen Patentamts in Berlin aufgenommen. Wissenschaftler in ganz Europa hatten im 19. Jahrhundert an Salicylaten geforscht, um ein wirksames, nebenwirkungsarmes, nicht allzu bitter schmeckendes, fiebersenkendes Schmerzmittel zu finden. Der Durchbruch gelang dem Chemiker Felix Hoffmann (1868 bis 1946) von der Firma Bayer am 10. August 1897. Er synthetisierte die Acetylsalicylsäure (ASS) erstmals in reiner und haltbarer Form, die auch noch gut einzunehmen war. Im März 1899 kam das neue Mittel als Pulver unter dem Namen Aspirin® dann auf den Markt.

Hoffmann, der zunächst die Apothekerlaufbahn eingeschlagen und dann zusätzlich Chemie studiert hatte, habe seinem Vater helfen wollen, der an unerträglichen Rheumaschmerzen gelitten habe, geht die Legende. Denn die Salicylate, die diesem verordnet worden waren, reizten Mund- und Magenschleimhäute und hatten einen so widerlichen Geschmack, dass sich Vater Hoffmann jedes Mal übergeben musste. Das Pulver, das sein Sohn entwickelte, enthielt nun keine freie Salicylsäure mehr und damit nicht mehr die unangenehmen Nebenwirkungen.

Kräuterfrauen sorgten für Salicylsäure-Nachschub

Die Geschichte der Salicylsäure reicht allerdings viel weiter zurück. Schon im alten Ägypten, im klassischen Griechenland und in Rom wurden Rezepturen aus Salicylsäure-haltigen Pflanzen, vor allem aus Weidenrinde, gegen Fieber und Schmerzen eingesetzt. Die Weide stand daher mit ihrem botanischer Name Salix auch Pate für die Bezeichnung Salicylsäure.

Im Mittelalter geriet das schmerz- und fieberlindernde Potenzial der Weide bei den Ärzten in Vergessenheit. Kundige Kräuterfrauen jedoch sammelten nach wie vor die Rinde der Silberweide (Salix alba), kochten sie aus, um die Bitterstoffe zu entfernen, und verwendeten diesen Trank als Medizin gegen Schmerzen und Fieber. Dann wurde das in Deutschland verboten: Die Weiden durften nur noch dem Korbflechtergewerbe, das ab dem späten 16. Jahrhundert boomte, zur Verfügung stehen.

Die Kräuterfrauen sahen sich nach Alternativen um. Sie entdeckten, dass die Blüten des Mädesüß (heute Filipendula ulmaria, früher Spiraea ulmaria) eine ähnlich schmerzstillende Wirkung haben wie die Weidenrinde. Denn auch Mädesüß enthält Salicylsäure. Die Pflanze, die auch Spierstaude genannt wird, stand übrigens mit Pate für den Namen "Aspirin". Er setzt sich zusammen aus "A" für ASS, "spir" für Spierstaude und aus der damals für Medikamente beliebten Schlusssilbe "in".

In der Medizin eroberte im 18. Jahrhundert zunächst eine neue Droge als Fieber- und Schmerzmittel den Markt: das Chinin aus der südamerikanischen Chinarinde. Napoleon ist es zu verdanken, dass die Weidenrinde aber eine Renaissance erlebte. Durch die Kontinentalsperre machte er von Ende 1806 bis 1814 Kontinentaleuropa für britische Handelsschiffe unerreichbar. Und deshalb begannen die Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts, sich wieder intensiv mit der heimischen Weide und Salicylaten zu beschäftigen. Höhepunkt dieser Forschungen war dann die Patentierung von Aspirin®. Für den Nachweis der Wirkweise - die Hemmung der Prostaglandinsynthese - erhielt schließlich Sir John R. Vane 1982 sogar den Medizinnobelpreis.

ASS im Weltall

Als sich 1969 die Apollo-11-Mission auf den Weg zum Mond machte, flogen auch Aspirin®-Tabletten mit. Dr. Charles Berry, medizinischer Direktor der NASA, hatte die Bordapotheke damit ausgerüstet, damit die Astronauten ein Mittel gegen die bei langen Raumflügen häufigen Kopf- und Muskelschmerzen hatten. Noch heute ist das Analgetikum Bestandteil der Bordapotheke der internationalen Raumstation ISS.

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