Interview

Ambulante und stationäre Grenzen öffnen!

Die scharfe Trennung zwischen ambulanter und stationärer Krankenversorgung ist für Professor Hendrik Lehnert, Präsident des 117. Internistenkongresses, ein Stein des Anstoßes. Sie trage zur beruflichen Unzufriedenheit bei, so Lehnert im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Veröffentlicht:

Professor Hendrik Lehnert

Aktuelle Position: Direktor der 1. Medizinischen Klinik, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

Werdegang, Ausbildung: Studium der Psychologie und der Humanmedizin in Münster. Diplom in klinischer Psychologie, Dissertation an der Medizinischen Poliklinik Münster

Karriere: 1988: Facharztanerkennung für Innere Medizin; 1989-93: Oberarzt Uni-Klinik Mainz; 1991: Habilitation; 1994-2005: Direktor der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselerkrankungen, Uni Magdeburg; 2005-07: Chair of Medicine, Warwick University Medical School, Coventry.

Ärzte Zeitung: Bislang war es immer so, dass die DGIM für die Wissenschaft und der BDI für die Berufspolitik zuständig waren. Jetzt wollen Sie enger kooperieren. Was ist der Grund für diesen Schulterschluss?

Professor Hendrik Lehnert: Nach wie vor ist es so, dass die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin primär die wissenschaftliche Fachgesellschaft ist und der Berufsverband der Deutschen Internisten die berufspolitischen Aspekte in den Vordergrund stellt. Aber es gibt viele Aufgaben, in denen gemeinsames Handeln notwendig ist. Das betrifft vor allem die strukturierte Weiterbildung zum Internisten und die Herausforderung, zum Beispiel im Krankenhaus die wissenschaftliche Fundierung ärztlicher Arbeit zu sichern.

Ärzte Zeitung: DGIM und BDI haben ein gemeinsames Positionspapier zu den beruflichen Perspektiven für Fachärztinnen und Fachärzte für Innere Medizin im Krankenhaus verfasst. Was sind Ihre Forderungen?

Lehnert: DGIM und BDI sehen insbesondere vor dem Hintergrund des Ärztemangels und den unzureichenden Freiheitsgraden unseres Berufs nicht nur die Arzt-Patienten-Beziehung seit langem bedroht, sondern auch die inhaltliche Qualität der medizinischen Arbeit. Zudem trägt die bislang sehr scharfe Trennung zwischen ambulanter und stationärer Krankenversorgung wesentlich zur beruflichen Unzufriedenheit bei. Diese Trennung beruht auf der sektoralen Budgetierung, aber sie kann immer weniger medizinisch begründet werden.

Hinzu kommen Probleme wie unzureichende Vergütung, Belastung durch fremde Aufgaben und ökonomischer Druck in den Krankenhäusern. Das müssen wir gemeinsam aufgreifen.

Ärzte Zeitung: Welche Folge hat die sektorale Trennung für die Weiterbildung?

Lehnert: Viele Erkrankungen in der modernen Medizin werden inzwischen auch in Praxen betreut und können deshalb in Universitätsambulanzen nicht mehr in ausreichendem Maße gelehrt werden. Wir müssen effektivere Strukturen schaffen. Dazu gehört, Weiterbildungskapazitäten in der ambulanten Medizin stärker einzubinden. Und die Arbeit von Universitätsambulanzen muss besser vergütet werden.

Ärzte Zeitung: Welche Rolle spielen Beleg- und Konsiliarärzte für die Kooperation im Bereich ambulant - stationär?

Lehnert: Wir sehen einen hohen Bedarf in der Öffnung der bestehenden ambulanten/stationären Versorgungsgrenze. Kooperationsmöglichkeiten sollten zwischen Krankenhaus und fachärztlicher Versorgungsebene ausgelotet werden, Kliniken sollten versuchen, auf die niedergelassenen Ärzte zuzugehen, um eine ambulante Tätigkeit in gemeinsamen Strukturen zu ermöglichen.

Zu denken ist hier auch an die Implementierung eines Konsiliararztes, der wie der Belegarzt medizinisch unabhängig im Krankenhaus arbeiten kann. Dies kann zu einer sinnvollen Reintegration von Vertragsärzten in das Krankenhaus führen.

Auch das Belegarztsystem, das nach SGB V gefördert werden soll, spielt eine wichtige Rolle. Sein Vorteil ist die Durchlässigkeit zwischen ambulanten und stationären Strukturen. Das ließe sich auch für Weiterbildung nutzen, zum Beispiel durch gemeinsame Lehrvisiten.

Ärzte Zeitung: Wie sehen Sie aktuell die Perspektive junger Krankenhausärzte, in die ambulante Versorgung zu gehen?

Lehnert: Ein großes Problem ist die Planungsunsicherheit. Die finanziellen Risiken sind durch veränderte gesetzliche Regelungen nur schwer kalkulierbar. Es ist fraglich, ob die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine ausreichende Refinanzierung hoher Investitionen ermöglicht. Zudem erschweren restriktive Zulassungsbedingungen aufgrund der Bedarfsplanung die Niederlassung als Vertragsarzt. Auch hier sehen DGIM und BDI gemeinsamen Handlungsbedarf; dieses Problem werden wir auch in einer gemeinsamen Stellungnahme angehen.

Ärzte Zeitung: Welche Schritte halten Sie konkret gemeinsam mit dem BDI für nötig?

Lehnert: Die ersten Schritte sind naturgemäß eine intensive Diskussion innerhalb der Strukturen von DGIM und BDI, zum Beispiel im Rahmen des Kongresses auf dem Chances-Symposium. Wir suchen sehr aktiv den Kontakt zu Entscheidungsträgern in der Gesundheitspolitik, um unsere Ideen mit Leben zu füllen. Darum freuen wir uns, dass Bundesgesundheitsminister Rösler an dem Chances-Symposion teilnehmen wird. Ferner müssen wir vor allem die inhaltliche Ausgestaltung der strukturierten Weiterbildung aktiv angehen.

Ärzte Zeitung: Schauen wir in die Praxis. Was wird an Ihrer HeimatUniklinik Lübeck getan, um die Arbeitsbedingungen vor allem für den internistischen Nachwuchs zu verbessern?

Lehnert: Eine hohe Transparenz in der Weiterbildung und bei den Entscheidungsprozessen im beruflichen Alltag und Einbeziehung der jungen Mitarbeiter halten wir für eines der probatesten Mittel. Zudem stellen wir uns darauf ein, dass nahezu alle vorstellbaren Arbeitszeitmodelle in den Kliniken erprobt und bei Bewährung übernommen werden. Nur mit einer hohen Flexibilität der Gestaltung der Arbeitsabläufe können wir die Nachwuchsprobleme in den Griff bekommen. Hier sind vor allem die älteren und erfahrenen Ärzte gefordert, mit Engagement und Motivation die jungen Kollegen für das Fach Innere Medizin zu begeistern.

Das Interview führte Marlinde Lehmann.

Der 117. Internistenkongress findet vom 30. April bis 3. Mai in Wiesbaden statt, Infos unter: www.dgim2011.de und auf unserer Sonderseite

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Kommentare
Dr. Jürgen Schmidt 24.02.201108:11 Uhr

Nicht zu Ende gedacht !

Die Aufhebung der bestehenden, strikten sektoralen Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung hat bei theoretischer Betrachtung manches für sich.
Die Vorstellung, damit ambulant tätige Internisten für die Teilnahme an der stationären Versorgung als Beleg- oder Konsiliarärzte zu gewinnen, ist noch theoretischer.
Praktisch geht es wohl umgekehrt um die Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung.
Was sich DEGIM und BDI da ausgedacht haben, dient den beruflichen Perspektiven junger Internisten schon deshalb nicht, weil nicht die Ärzte Herr im Krankenhaus sind, sondern die Krankenhausgesellschaft und damit zunehmend kommerzielle Klinikkonzerne.
Der BDI sollte nicht vergessen, dass seine Existenzgrundlage neben der Bewahrung des Berufsbildes auch die Verteidigung der Freiheit des Berufes einschließt. Der aktuelle Vorschlag aber weist letzten Endes den Weg in die Abhängigkeit.

Schmidt/Ahrensburg/Internist

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