HINTERGRUND

Leitende Klinikärzte verärgert über Ungereimtheiten bei der Deutschen Stiftung Organtransplantation

Von Nicola Siegmund- Schulze Veröffentlicht:

Die leitenden Krankenhausärzte in Deutschland sind verunsichert. Die Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Rekrutierung und Entnahme von postmortalen Organen organisiert, hat tiefe Risse bekommen.

"Wir wissen im Moment nicht mehr, wie wir die leitenden Krankenhausärzte, zur Unterstützung der Aufgabe Organspende motivieren sollen", sagt Professor Hans-Fred Weiser aus Rotenburg an der Wümme zur "Ärzte Zeitung". Der Vorsitzende des Verbandes leitender Krankenhausärzte in Deutschland (VLK) ist ratlos: "Nicht mehr zu vermitteln" seien die Ungereimtheiten, die sich in den letzten eineinhalb Jahren ergeben hätten.

Bereitschaftsdienst wird abgeschafft

Das fing an im August 2004. Die DSO beschloß, den Bereitschaftsdienst für Ärzte, die den Hirntod feststellen, abzuschaffen und Ärzte nur noch dann zu vergüten, wenn sie tatsächlich eine Hirntoddiagnostik gemacht hatten.

Es gab damit keine Konsiliarteams mehr mit Dienstplan, sondern die DSO-Mitarbeiter mußten im Einzelfall nach Ärzten mit der für die komplexe Hirntoddiagnostik erforderlichen Expertise suchen. Feste Konsiliarteams, die früher teilweise auch zertifiziert waren, existierten nicht mehr. Und damit keine kontinuierlichen Ansprechpartner für die Krankenhäuser.

"Wir haben eine Fürsorgepflicht für unsere Ärzte und für die Patienten", sagt Weiser. "Wie soll auf diese Weise die Qualifizierung der für die Feststellung des Hirntods anreisenden Ärzte sichergestellt werden?" Die Ärzte bestätigen sich jetzt die notwendige Erfahrung selbst.

Auch Neurologen protestierten bei der DSO, aber es blieb bei der Regelung. Und die DSO schob einige brisante Veränderungen nach. Ende Juli 2005 legte DSO-Vorstand Professor Günter Kirste der Bundesärztekammer einen Entwurf zur Änderung von Richtlinien vor. Vorbereitende Untersuchungen für die Organtransplantation wie Bluttests auf Krankheitserreger und Gewebeverträglichkeitsmerkmale sollten schon gemacht werden dürfen, bevor der Hirntod feststeht.

Es gab Widerspruch und Proteste, von Ärzten, von Medizinjuristen und - hinter vorgehaltener Hand - auch von DSO-Mitarbeitern. Wie soll man solche Maßnahmen der Öffentlichkeit erklären, die bekanntermaßen fürchtet, daß Menschen vorschnell zu hirntoten Organspendern erklärt werden, fragten Ärzte bei einer Versammlung des VLK im November 2005.

Informationen oft nur über die Zeitung

Am besten gar nicht. Um solche, auch für die Öffentlichkeit bedeutsamen Umstrukturierungen nachvollziehbar zu machen, ergreift die DSO von sich aus selten die Initiative, sondern reagiert meist auf Berichte in Medien. Oft erfahren selbst DSO-Mitarbeiter von solchen Neuerungen nur über die Zeitung, der Kontakt des DSO-Vorstands zur Basis scheint wenig darauf angelegt zu sein, vor Entscheidungen ein Meinungsbild unter den Mitarbeitern zu erstellen.

Auch als Ende 2005 die Verträge mit Chirurgen, die thorakale Organe entnehmen, umgestellt werden sollten von Bereitschaftsdiensten auf die ausschließliche Vergütung einzelner Einsätze, gab es Probleme. DSO-Mitarbeiter wählten sich gelegentlich die Finger wund, um Entnahmeteams zu finden. Mitte Januar schließlich scheiterte an den Streitigkeiten eine Lungentransplantation.

Es fanden sich keine Chirurgen, die die Spenderlunge in Zwickau für eine Münchener Empfängerin hätten entnehmen wollen. Denn die Verträge mit den Münchener Entnahmeteams waren gekündigt, und zwar vollständig - anders als es die DSO die Medien in einer Pressemitteilung vom 26. Januar 2006 wissen ließ (die "Ärzte Zeitung" berichtete).

Der Konflikt über die Umstellung der Vergütung von Entnahmeteams ist noch nicht beendet, da treffen DSO, Ständige Kommission Organtransplantation (StKO) und die auch für Deutschland zuständige Eurotransplant-Vermittlungszentrale in Leiden eine folgenschwere Entscheidung: Die dialysepflichtige Ehefrau eines hirntoten Mannes soll unter Umgehung der Warteliste eine Niere ihres Gatten erhalten, da die Angehörigen nur unter dieser Bedingung einer Entnahme von mehreren Organen zustimmen wollten.

Anstatt mit dieser unter akutem Druck zustande gekommenen, aber gesetzeswidrigen Entscheidung an die Öffentlichkeit zu gehen, schickt die DSO am 25. Januar ein Schreiben an ihre Mitarbeiter. In Fällen wie diesem werde künftig eine Telefonkonferenz zwischen DSO, ET und StKO oder einem Juristen entscheiden, solange bis eine endgültige Regelung gefunden sei. Sprich: Bis das Gesetz entsprechend geändert ist. Denn daß es für eine solche personenbezogene, zielgerichtete Organzuteilung einer Gesetzesänderung bedarf, wurde in dem Schreiben ebenfalls bestätigt.

"Eine Gesetzesänderung, die eine gezielte, postmortale Organspende an Familienmitglieder möglich machen würde, hielte ich persönlich für wünschenswert", sagt Professor Gundolf Gubernatis, Transplantationsbeauftragter für den VLK und Vorstand im Reinhard-Nieter-Krankenhaus Wilhelmshaven. "Aber man ändert doch Gesetze nicht, indem man sie einfach übertritt."

Kein Fall für die Überwachungskommission

Ein Fall also für die Überwachungskommission der DSO? "Diese Angelegenheit haben wir nicht auf dem Tisch", so der Vorsitzende der Überwachungskommission Professor Heinz Angstwurm aus Berlin, der früher jahrelang für die DSO konsiliarisch tätig war. "Wir gehen nur Vorfällen nach, die uns von zuständigen Stellen gemeldet werden, von einem Ministerium zum Beispiel", so Angstwurm zur "Ärzte Zeitung".

Auf Selbstreinigungskräfte innerhalb des Systems darf man auch in Zukunft kaum hoffen, denn gerade die Medien, wichtige Infoquelle auch für Ministerien, werden allzu oft ausgeschlossen DSO-Chef Kirste indes sieht keine Defizite: "Die Wege, die wir in den Krankenhäusern zur Unterstützung der Organspende gehen, werden grundsätzlich gut angenommen", sagte er im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung". Kirste hat dem VLK-Vorsitzenden Weiser jetzt ein Gespräch angeboten.



FAZIT

Der Vorsitzende des Verbandes leitender Krankenhausärzte in Deutschland (VLK) Professor Hans-Fred Weise weiß im Moment nicht, wie leitende Krankenhausärzte zur Unterstützung bei Organspenden motiviert werden sollen. Der Grund: Die Zusammenarbeit mit der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), die die Rekrutierung und Entnahme von postmortalen Organen organisiert, hat in den vergangenen eineinhalb Jahren tiefe Risse bekommen. Weise spricht von Ungereimtheiten. Im August 2004 etwa hatte die DSO eine umstrittene Entscheidung getroffen: der Bereitschaftsdienst für Ärzte, die den Hirntod feststellen, wurde abgeschafft.

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