HINTERGRUND

Per Tomographie und Spektroskopie sehen Ärzte, wie eine Therapie das Gehirn psychisch Kranker verändert

Von Uwe Groenewold Veröffentlicht:

Ein kurzer Blick per MRT ins Gehirn eines depressiven Patienten und der Arzt weiß, welche Therapie am besten hilft - noch ist das Zukunftsmusik. Doch mit bildgebenden Verfahren läßt sich bereits jetzt feststellen, in welcher Weise eine antidepressive Therapie die Gehirnstruktur verändert.

So konnten deutsche Forscher zeigen, daß sowohl mit einer Arzneitherapie als auch mit einer ein Psychotherapie das Volumen von Gehirnbereichen wächst, die bei Depressiven geschrumpft sind.

Ohne Beanspruchung werden Nervenverbindungen abgebaut

Das Gehirn ist ein äußerst plastisches Organ: Jeder Sinnesreiz führt zu neuen Eindrücken, die im Gehirn mit bisher gemachten Erfahrungen abgeglichen und verarbeitet werden. Zwischen den etwa 100 Milliarden Nervenzellen entstehen permanent neue neuronale Verschaltungen.

Ganz offensichtlich funktionieren neuronale Verbindungen ähnlich wie Muskeln: Ohne Beanspruchung werden sie abgebaut, mit intensivem Training dagegen werden sie stärker. Dieser enormen Flexibilität des Gehirns haben es Schlaganfallpatienten zu verdanken, daß sie ihren anfangs gelähmten Arm doch wieder bewegen können: Im Gehirn werden neue Nervenverbindungen geschlossen, die die Aufgaben der untergegangenen Zellen übernehmen.

Auch bei psychischen Erkrankungen verändert sich die Hirnstruktur. So lassen sich mit bildgebenden Verfahren etwa bei Schizophrenie im Frontalhirn und im limbischen System viele Veränderungen in Struktur und Funktion feststellen. Bei depressiven Patienten wurde ein verringertes Volumen des Hippocampus beobachtet. Der Hippocampus ist nötig für die Gedächtnisbildung sowie für die Verarbeitung und Steuerung von Emotionen.

"Bei Depressiven werden ankommende Informationen vom Gehirn falsch bewertet. Alles ist ein wenig schlechter, das Glas ist immer halb leer", sagte Professor Fritz Henn vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim auf einem Psychiatriekongreß in Berlin.

Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Entscheidend bei der Entstehung von Depressionen sei offensichtlich eine schlechte Streßregulation. Depressive haben fast immer einen erhöhten Spiegel des Streßhormons Kortisol im Blut.

Das Hormon verhindert etwas, was Wissenschaftler bis vor wenigen Jahren für unmöglich hielten: Die Neubildung von Nervenzellen. "Wir haben immer gedacht, das Gehirn baut keine neuen Zellen. Doch auch im Gehirn findet das Wechselspiel zwischen Neubildung und programmiertem Zelltod, der Apoptose, statt", sagte Henn.

Werden Patienten mit Antidepressiva behandelt, sinkt der Kortisolspiegel und es sprießen neue Nervenzellen im Hippocampus. Besser noch: Auch die Verschaltungen zwischen den Neuronen werden intensiviert, es bilden sich neue Synapsen.

Diese biochemischen Prozesse lassen sich mit der Magnetresonanz-Spektroskopie (MRS) darstellen, einem Verfahren, das Strukturen auf Molekülebene darstellt. Ein solches Molekül ist Cholin; es dient als Marker für einen erhöhten Stoffwechsel in der Zellmembran. "Bei depressiven Patienten haben wir deutlich niedrigere Cholinspiegel im Hippocampus gemessen als bei Gesunden. Wurden die Patienten jedoch medikamentös behandelt, stieg der Cholinspiegel an."

Derzeit, so Henn, läuft in Mannheim eine Studie, bei der die Auswirkungen von Psychotherapie auf den Hippocampus untersucht werden. Bei der Behandlung lernen die Patienten, mit ihren Gefühlen umzugehen und ihr eigenes Verhalten an die jeweilige Situation anzupassen.

Der Erfolg der Psychotherapie läßt sich auch mit bildgebenden Verfahren erkennen: "Bei den Patienten, die von der Behandlung profitiert haben, steigt der Cholinspiegel an, und das Volumen des Hippocampus nimmt dank Neuro- und Synaptogenese wieder zu", so Henn.

An der Uniklinik Rostock werden junge Frauen mit Borderline-Persönlichkeitsstörungen mit der funktionellen Magnetresonanz-Tomographie (fMRT) untersucht. Damit läßt sich die Verarbeitung emotionaler Reize optisch darstellen: Vor allem die winzigen Mandelkerne, in denen Emotionen wie Wut und Angst entstehen, sind bei Borderline-Frauen permanent übererregt, sagte Professor Sabine Herpertz von der Psychiatrischen Klinik in Rostock.

Auch eine Psychotherapie ändert die Gehirnstruktur

Medikamente helfen den verzweifelten Frauen, die sich häufig selbst schwere Schnitt- oder Brandverletzungen zufügen, nur begrenzt; dagegen verspricht eine Psychotherapie, die auf eine langfristige Verhaltensänderung hinarbeitet, den besseren Effekt.

Während einer zwölfwöchigen Psychotherapie hat das Team von Herpertz einige Frauen fünfmal auf Veränderungen der neuronalen Aktivität untersucht. Dabei lagen die Frauen im Tomographen und bekamen emotional anregende Fotos präsentiert - weinende oder lachende Kinder, harmonische oder konfliktbeladene Familienszenen.

"Besonders bei den Frauen, die auch klinisch sehr gut auf die Therapie angesprochen haben, ließ sich von Mal zu Mal eine deutlicher nachlassende Aktivität im limbischen System, insbesondere in den Mandelkernen, nachweisen", sagte Herpertz.

Bei gesunden Frauen, die auf gleiche Weise untersucht wurden, stellte sich dieser Effekt nicht ein. Damit, so die Psychiaterin, konnte erstmals belegt werden, daß Psychotherapie beim Borderline-Syndrom tatsächlich eine neurobiologische Wirkung hat. In größeren Studien sollen die gewonnen Daten jetzt untermauert werden.

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