"Bomb", sagt der kleine Mustafa und zeigt auf sein Bein

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Von Anja Krüger

An der Flurwand in der Sporthalle hängen merkwürdige Gebilde, die offensichtlich als improvisierte Prothesen dienten. Jene Kinder, die sie einst trugen, haben sie im Friedensdorf Oberhausen zurückgelassen. Durch die Tür dringt fröhlicher Kinderlärm. Draußen auf dem Dorfplatz spielen einige Dutzend Kinder. Sie sitzen im Rollstuhl, laufen an Krücken, tragen Verbände oder haben große Narben. Wie der kleine Mustafa aus Afghanistan sind viele Opfer von Kriegen.

Mustafa, Abdul, Said und die anderen sind zur medizinischen Behandlung nach Deutschland gekommen. Im Friedensdorf am Rande Oberhausens erholen sich die kleinen Patienten aus Afghanistan, Angola oder Zentralasien von Operationen. Rund um den großen Platz im Dorfmittelpunkt stehen Häuser mit Betten für 150 Kinder, eine Turn- und Schwimmhalle und ein großer Eßsaal. Der Arzneimittelhersteller Pfizer unterstützt das Projekt. "Das Friedensdorf gibt Kindern aus Krisengebieten eine neue Chance", sagte Jürgen Bieberstein, Verkaufsleiter des Karlsruher Unternehmens, bei der Übergabe einer 10 000 Euro-Spende.

Das Geld stammt aus einer Aktion, die Pfizer eigens für das Friedensdorf gestartet hat. Die Firma gab bei dem Karlsruher Künstler Wolfram Ketz ein Bild in Auftrag. 600 Lithographien des Werks "Frieden" verkaufte Pfizer am Rande der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und verloste das Original.

Das Friedensdorf ist auf solche Spenden angewiesen. Jedes Jahr organisieren die Helfer des Vereins für etwa 1000 Kinder die medizinische Versorgung in Deutschland. "Wir arbeiten bundesweit mit 300 Kliniken zusammen", berichtet Heike Bruckmann vom Verein Friedensdorf. Die Kliniken behandeln die kleinen Patienten umsonst. "80 Prozent der Kinder leiden an Knochenentzündungen", so Bruckmann. Kinder aus Zentralasien holt die Organisation oft für eine Operation der Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte nach Deutschland. In ihrer Heimat gibt es für sie kaum Operationsmöglichkeiten.

Die kleinen Patienten werden von Partnerorganisationen vor Ort ausgesucht und reisen ohne ihre Eltern nach Deutschland. Während sie in der Klinik liegen, übernehmen ehrenamtliche Helfer die Betreuung. Zur Nachsorge oder Rehabilitation kommen die Kinder ins Friedensdorf. Kontakt zu den Helfern haben sie dann nicht mehr. Emotionale Bindungen könnten mehr schaden als nützen, erklärt Bruckmann. "Die Kinder können nicht in Deutschland bleiben. Sie sollen auch wieder zurück wollen."

In Oberhausen lernen die Patienten, mit ihren neuen Hilfsmitteln wie etwa Beinprothesen umzugehen, die sie mit nach Hause nehmen. Sie bekommen Krankengymnastik und die anderen erforderlichen Reha-Maßnahmen. Niedergelassene Ärzte aus der Oberhausener Umgebung betreuen die Kinder ehrenamtlich. "Wir arbeiten eng mit einigen Praxen zusammen", erklärt Bruckmann.

Auf dem Dorfplatz werden viele Sprachen gesprochen. Kinder aus unterschiedlichen Ländern verständigen sich mit deutschen Vokabeln. "Meistens lernen die Kinder im Krankenhaus etwas deutsch", sagt Bruckmann. Auch der kleine Mustafa hat einige Brocken aufgeschnappt. Fröhlich kreist er mit seinem Rollstuhl auf dem Platz herum. Schließlich bleibt er stehen und zeigt auf sich. "Schule, Klasse", ruft er und hebt fünf Finger. "Bomb", sagt er dann und weist auf sein Bein.

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