INTERVIEW

Der Bauch tut wieder weh: Ist das Schulangst?

Bei Problemen mit der Schule reagieren Kinder und Jugendliche oft mit Bauch- oder Kopfschmerzen. Hausärzte und Pädiater sollten deshalb bei jungen Patienten mit solchen Beschwerden immer auch an Schulangst als mögliche Ursache denken, so Professor Bernhard Blanz von der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität Jena. Schulangst kann aber auch Symptom einer generalisierten Angststörung sein, so Blanz im Gespräch mit Marlinde Lehmann von der "Ärzte Zeitung".

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Ärzte Zeitung: Schulangst - Ist das überhaupt ein Thema für Haus- und Kinderärzte?

Professor Bernhard Blanz: Ja, auf alle Fälle! Denn es sind ja die Haus- und Kinderärzte, die hier in erster Linie von den Eltern angesprochen werden.

Ängste generell sind bei Kindern und Jugendlichen auch relativ häufig. Nimmt man alle Angststörungen zusammen, sind etwa fünf bis acht Prozent der Kinder und Jugendlichen davon betroffen. Zu schulbezogenen Ängsten speziell gibt es keine Zahlen. Sie sind aber bei bis zur Hälfte der Kinder mit Ängsten vorhanden. Jungen und Mädchen sind davon übrigens ähnlich häufig betroffen. Kritische Altersstufen sind das Einschulungs-Alter, der Wechsel von Grund- zu weiterführenden Schule und die Pubertät.

Ärzte Zeitung: Eine Schulangst ist in der Praxis ja nicht einfach zu diagnostizieren ...

Blanz: Das ist in der Tat so! Gerade Kinder sprechen nicht über belastende Gefühle wie Angst, Ärger, Wut oder Enttäuschung. Sie sagen ja nicht: "Ich habe Angst vor der Schule!" Sondern sie sagen: "Ich habe Bauchweh!" Je jünger die Kinder sind, umso mehr somatisieren sie. Kopf- und Bauchschmerzen sind dabei die häufigsten Beschwerden. 80 bis 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Schulangst klagen darüber. Bei ausgeprägter Angst sind dann auch Symptome wie Erbrechen und Durchfall möglich.

Kopf- und Bauchschmerzen können natürlich auch viele somatische Ursachen haben. Man kann aber auf Schulangst als Ursache kommen, wenn die Beschwerden immer wiederkommen und dabei Schulzeit-bezogen sind, sie also nicht in den Ferien und nicht am Wochenende auftreten.

Ärzte Zeitung: Wie gehen Sie bei Verdacht auf Schulangst vor?

Blanz: Natürlich ist es nötig, primär mögliche somatische Ursachen der Kopf- oder Bauchschmerzen auszuschließen, bei Bauchschmerzen etwa durch eine Stuhluntersuchung und durch Sonographie.

Parallel dazu sollte aber gleich daran gedacht werden, daß ein psychisches Problem somatisiert werden könnte. Ich denke, daß ein großer Teil der Kinder, die mit Kopf- oder Bauchschmerzen in die Praxis kommen, ein psychisches Problem haben, und dann kann es ja nicht richtig sein, erst einmal invasiv, etwa mit einer Darmspiegelung, zu untersuchen - auch unter dem Gesichtspunkt der anfallenden Kosten. Wichtig ist deshalb, bei Verdacht auf eine Schulangst einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden und der Schule zu finden.

Ärzte Zeitung: Wie machen Sie das?

Blanz: Ich würde natürlich zuerst die Eltern anhören, dann aber auch noch mit dem Kind alleine reden. Kinder sprechen aber nicht spontan über ihre Schulängste. Da muß man schon die entsprechenden Fragen stellen.

Ärzte Zeitung: Und die sind ...?

Blanz: Ich frage nicht: "Hast Du Angst vor der Schule?", sondern "Wie geht’s Dir in der Schule, macht Dir die Schule Spaß, was ist dein Lieblingsfach und was gefällt Dir nicht so gut?" Dann lasse ich die Kinder erzählen, und meist kriegt man dann schon ganz schnell raus, was Grund der Kopf- oder Bauchschmerzen sein könnte: Hänseleien oder Erpressungen auf dem Schulhof, oder etwa die Angst, im Unterricht aufgerufen zu werden und sich dann zu blamieren, wenn man etwas nicht weiß.

Finde ich eine mögliche Ursache für die Schulangst, spreche ich mit den Eltern, damit sie Kontakt mit den Lehrern aufnehmen können.

Viele Kinder entwickeln übrigens auch die Symptome einer Schulangst, weil sie einfach überfordert sind. Auch das muß man im Auge behalten.

Ärzte Zeitung: Was ist, wenn Sie im Schulalltag keinen konkreten Anlaß für eine Schulangst entdecken?

Blanz: Das kommt am ehesten bei Kindern mit einer diffusen Angst vor, manchmal mit einer richtigen Angststörung. Die fallen schon auf, wenn die Eltern mir berichten, daß ihr Nachwuchs - oft ohne Schulfreunde - den Nachmittag meist zuhause verbringt. Diese Kinder haben dann natürlich in der Schule Probleme, wenn sie sich nicht mehr im behüteten Schoß der Familie befinden. Das läßt dann manchmal an eine isolierte Schulangst denken. In Wirklichkeit fallen diese Kinder mit generalisierter Angststörungen aber in der Schule bloß mehr auf als zuhause, ihr Grundproblem entzündet sich einfach in der Schule.

Ein Kind aber, das jeden Tag unterwegs ist, hat dagegen keine generalisierte Angststörung!

Besteht der Verdacht auf eine generalisierte Angststörung, sollten Hausärzte einen in Kinderpsychiatrie erfahrenen Kollegen zu Rate ziehen. Das sollten sie auch deshalb tun, weil die Betreuung dieser Kinder viel Zeit beansprucht, und Hausärzte diese Mühe nicht adäquat honoriert bekämen.

Ärzte Zeitung: Was empfehlen Sie bei Schulangst: Sollen die Kinder mit Kopf- oder Bauchschmerzen zuhause bleiben?

Blanz: Dem Symptom nachzugeben ist immer schlecht! Durch die Zuwendung wird das Problem eher verstärkt, die Wahrscheinlichkeit, daß Kopfschmerzen oder Bauchweh wieder auftreten, wird größer. Ich finde: Ein Kind ohne Fieber kann in die Schule gehen! Außerdem verstärkt jeder Fehltag die Symptome und koppelt das Kind auch von seiner Klasse ab.

Ärzte Zeitung: ... und wie sieht es mit Medikamenten aus, vielleicht auch nur mit Vitamintabletten, also quasi einem Placebo gegen die Kopf- oder Bauchschmerzen?

Blanz: Wenn’s hilft, daß das Kind in die Schule geht - prima, dann kann man das mal vorübergehend machen. Placebos wirken bei Kinder ja viel besser als bei Erwachsenen! Ich höre aber nicht oft, daß Kinder nach einer Medizin gegen ihr Kopf- oder Bauchweh fragen.

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