Kinder aus Beslan machen Ferien in Thüringen

GERA (dpa). Sie wirken wie eine ganz normale Schülergruppe auf Ferienausflug: Wladimir, Alan, Inna und die anderen 14 Jungen und Mädchen aus Rußland erkunden Thüringen, spielen fröhlich Fußball und scherzen miteinander. Noch vor knapp einem Jahr mußten einige von ihnen tagelang um ihr Leben bangen, verloren enge Verwandte oder Freunde: beim Geiseldrama von Beslan in Nordossetien.

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Ihre ersten Sommerferien nach dem Terror verbringen die Kinder zwei Wochen lang als Gäste des Bundesjugendministeriums und des Jugendherbergswerkes. Sie sind eine von mehreren Gruppen aus Beslan, die in diesem Jahr nach Deutschland eingeladen wurden.

Straffes Freizeitprogramm soll von Erinnerungen ablenken

   Die erschütternden Bilder gingen um die Welt: Am 1. September 2004 hatte eine Terroristengruppe unter tschetschenischem Kommando die Schule der russischen Stadt gestürmt und mehr als 1200 Menschen in ihre Gewalt gebracht. Die Geiselnahme endete am dritten Tag in einem Blutbad. Aus noch immer ungeklärter Ursache hatten sich in der Schulturnhalle mehrere Explosionen ereignet. Daraufhin war das Gebäude unter Dauerbeschuß von Polizei und bewaffneten Bürgern gestürmt worden.

   17 Kinder aus Beslan und Umgebung wohnen nun in einer modernen Herberge im idyllischen thüringischen Ort Plothen. Ein straffes Freizeitprogramm soll sie von den schlimmen Erinnerungen ablenken. Mit vier Betreuern aus ihrer Heimat sowie drei Übersetzerinnen und einer deutschen Begleiterin wandern sie durch die Saaleregion, treffen sich mit einem Förster, einem Korbmacher und einem Müller, erkunden Weimar und besuchen ein Rittergut.

"Kein Interview, kein Foto!", ruft Dolmetscherin Galina Müller aufgeregt, als sie in Thüringen Journalisten erblickt. Mit den Kindern aus Beslan dürfen deutsche Reporter nicht sprechen; nur mit ihren Begleitern. "Wenn ein traumatisches Ereignis länger als ein viertel Jahr zurückliegt, ist es nur im geschützten psychotherapeutischen Rahmen sinnvoll, über das Erlebte zu sprechen", erklärt Gabriele Kluwe-Schleberger, die Leiterin des Thüringer Traumanetzwerkzentrums (THUETZ). "Wenn Sie einfach so fragen, ist es so, als ob alles nochmal passiert", sagt die Psychotherapeutin. "Sie werden in dem Moment zum Täter und begehen eine Körperverletzung."

Die 16 Jahre alte Daria aus Weimar, die mit den Beslan-Kindern in Thüringen als Übersetzerin unterwegs ist, berichtet: "Sie wollen täglich shoppen, Deutschland kennen lernen und haben kein Heimweh." Ein Mädchen aus der Gruppe spreche auch über das Geiseldrama. "Aber die Jungs wollen nicht, daß es wieder hoch kommt", sagt Daria.

Bundesfamilienministerium zahlt die Flüge

50 000 Euro stellt das Bundesfamilienministerium dieses Jahr für den Empfang von jungen Gästen aus Beslan zur Verfügung. "Wir koordinieren die Besuche und zahlen die Flüge", sagte ein Ministeriumssprecher. Die Kosten vor Ort übernimmt meist das Jugendherbergswerk.

 Trauma-Expertin Gabriele Kluwe-Schleberger sagt, es sei gut, daß die Kinder Abstand von ihrer Heimat bekommen. "Noch sinnvoller wäre allerdings, wenn ich Kollegen in Rußland für die Traumatherapie trainieren oder die Kinder in Thüringen therapieren könnte." Denn in Rußland gebe es nicht ausreichend spezialisierte Psychotherapeuten. "Ein Trauma ist heilbar", sagt die Thüringer Expertin. "Der Betroffene kann lernen, daß das Leben wieder schön sein kann - auch wenn er schlimme Dinge erlebt hat."

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