Kinderstudie

Starker Fluglärm verzögert Leseentwicklung

Bei hoher Fluglärmbelastung hinkt die Leseleistung von Kindern um etwa zwei Monate hinterher. Das sind Erkenntnisse aus der Kinderstudie "NORAH", die am Dienstag in Frankfurt vorgestellt wurde.

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Bei viel Lärm lernen Kinder schlechter lesen.

Bei viel Lärm lernen Kinder schlechter lesen.

© Brebca / fotolia.com

FRANKFURT AM MAIN. Es handelt sich um einen statistisch signifikanten und gut messbaren Effekt: Wenn Kinder in den Schulen und zu Hause hoher Fluglärmbelastung ausgesetzt sind, scheint ihre Lernfähigkeit zu leiden - das lässt sich aus den Ergebnissen einer Studie schließen, die am Dienstag in Frankfurt am Main veröffentlicht wurden.

Die Untersuchung ist Teil der Lärmwirkungsstudie NORAH (Noise-Related Annoyance, Cognition and Health), der international bislang umfangreichsten Studie zu den Auswirkungen des Lärms von Flug-, Schienen- und Straßenverkehr auf die Gesundheit und Lebensqualität der Bevölkerung. Mit der NORAH-Kinderstudie, die sich ausschließlich auf die Auswirkungen des Fluglärms bezieht, sind jetzt die ersten NORAH-Daten überhaupt veröffentlicht worden.

Daten von 1250 Schülern und deren Eltern

Wie die Leiterin der Kinderstudie, Professorin Maria Klatte von der TU in Kaiserslautern auf einer Pressekonferenz in Frankfurt am Main berichtet hat, konnten für die Studie 29 Grundschulen mit 85 zweiten Klassen im Rhein-Main-Gebiet gewonnen werden. Die erhobenen Daten stammten von etwa 1250 Schülern, ebenso vielen Eltern und 85 Lehrkräften.

Ein Teil der Schulen lag in hoch belasteten Gebieten (Dauerschallpegel bis zu 59 dB), die übrigen hatten hingegen nur mäßigen bis keinen Fluglärm zu erdulden. Ausgewählt wurden die Schulen so, dass sie sich mit Blick auf andere Faktoren wie sozialer Status der Eltern, Anteil der Kinder mit Migrationshintergrund und weitere Lärmquellen kaum unterschieden.

Wurden nun eine Reihe von Faktoren betrachtet, die ebenfalls die Lernfähigkeit beeinträchtigen können, so ergab sich ein signifikanter Einfluss des Fluglärms bei Lesetests. Pro Zunahme des Fluglärms um 10 Dezibel (dB) verringerte sich die Leseleitung um eine Zehntel Standardabweichung.

Dies, so Klatte, entspreche in den Schulen mit der höchsten Fluglärmbelastung einer Verzögerung der Leseentwicklung um zwei Monate. Bei Kindern mit Migrationshintergrund lag die Verzögerung in den stark belasteten Schulen sogar bei drei Monaten, war statistisch aber nicht signifikant. Klatte vermutet, dass andere Faktoren wie schlechte Deutschkenntnisse der Eltern und weniger Unterstützung durch diese die Auswirkungen des Fluglärms überlagerten.

Zahl der Kinderbücher hat größeren Einfluss als Fluglärm

Die Psychologin wies darauf hin, dass der Effekt des Fluglärms auf die Leseleistung wenn auch statistisch signifikant, doch recht gering war. Die Zahl der Kinderbücher im Haushalt habe einen größeren Einfluss auf die Leseleistung als Fluglärm. Allerdings ließen sich aus der Studie keine langfristigen Prognosen ableiten, da es sich nur um eine Querschnittsanalysehandele, sagte Klatte.

Ebenfalls einen kleinen, aber nachweisbaren Effekt fanden die Forscher bei Gesundheitsproblemen. Zwar lagen die Ergebnisse der Befragung auf einer Fünf-Punkte-Skala auch in den hoch belasteten Gebieten im Schnitt stets über 4 Punkten, doch pro 10 dB mehr Lärm war der Wert im Vergleich zu wenig belasteten Regionen um einen Achtel Skalenpunkt niedriger.

Die Kinder hatten also etwas häufiger Kopf- oder Bauchweh oder fühlten sich öfter müde und schlapp. Beim Schlaf oder dem Klima in der Klasse ließ sich hingegen kein Einfluss des Fluglärms feststellen.Auffallend war zudem, dass Kinder in den hoch belasteten Gebieten häufiger Medikamente einnahmen, auch war bei ihnen in der Vergangenheit etwas öfter eine Sprech- oder Sprachstörung diagnostiziert worden als in den weniger belasteten Regionen.

Maschinen stören auch den Unterricht

Wenig erfreut zeigten sich die 21 Lehrer in den am stärksten betroffenen Schulen mit einem Dauerschallpegel von mehr als 55 dB. Etwas mehr als die Hälfte von ihnen gab an, das Unterrichtsgespräch wegen vorbeifliegender Maschinen unterbrechen zu müssen, ebenso viele sahen ihre Schützlinge durch den Fluglärm abgelenkt, weil diese aus dem Fenster schauten oder nicht mehr zuhörten.

Die meisten hielten auch im Sommer die Fenster geschlossen. Mehr als ein Drittel der Kinder in solchen Schulen gab an, die Lehrer wegen des Fluglärms zeitweise nicht zu verstehen. Solche Auswirkungen, so Klatte, seien als erheblich zu betrachten. "Durch die Ablenkung verpassen die Kinder Lerngelegenheiten." Möglicherweise beeinträchtige dies auch die Leistung in anderen Fächern.

Der Wissenschaftliche Beirat zur Qualitätssicherung (WBQ), ein Gremium von Akustikern, Psychologen und Medizinern aus mehreren Ländern, würdigte die hohe Qualität der Studie. Die neuesten Test- und Messmethoden hätten Anwendung gefunden, auch seien bei der Analyse alle wichtigen Stör- und Begleitfaktoren berücksichtigt worden.Die übrigen Ergebnisse der NORAH-Studie werden in einem Jahr erwartet. (mut)

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