Münchener Rechtsmediziner an der Klärung eines Wunders beteiligt

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Ob bei der Frage nach verwandtschaftlichen Verbindungen zwischen Kaspar Hauser und dem badischen Adel, der Identifizierung von sterblichen Überresten der russischen Zarenfamilie oder der Herkunft von Ötzi, dem Gletschermann: Die forensische DNA-Analyse, ursprünglich zur Aufklärung von Verbrechen verwendet, wird immer häufiger auch zur Klärung historischer Zweifelsfälle eingesetzt.

Jetzt im Auftrag des Bistums Regensburg. Die Abteilung für Selig- und Heiligsprechungsprozesse des bischöflichen Konsistoriums erwägt, Therese Neumann von Konnersreuth selig zu sprechen. Die 1898 in dem bayerischen Ort geborene Frau blutete der Überlieferung nach seit 1926 aus Wunden, wie sie Christus bei der Kreuzigung zugefügt worden waren.

Vor allem an Karfreitagen setzten die Blutungen ein (Karfreitags-Leiden). Für die Frage, ob Therese der besonderen kirchlichen Ehrung würdig sei, war es dem Bistum wichtig zu wissen, ob durchblutete Verbandskompressen von der Kandidatin stammten.

Die Kirche übergab dem Institut für Rechtsmedizin der LMU München die Kompressen, dazu Briefe mit Briefmarken, die Speichelanheftungen von Therese tragen sollten. Als Vergleichsmaterial hatten die Forensiker DNA-Proben von lebenden Verwandten, berichtete Privatdozent Burkhard Rolf beim Spurenworkshop der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in Köln.

Rolf und seine Kollegen analysierten die Erbsubstanz in den Mitochondrien (mt-DNA), eine Methode, die oft bei stark abgebauter DNA noch funktioniert. Das Ergebnis war eindeutig: Sowohl die Kompressen als auch die Briefe stammten von Therese. Die Möglichkeit, daß das Blut von geschlachteten Tieren stammte, war damit ausgeschlossen.

Allein zur wichtigen Frage, ob die regelmäßig blutenden Wunden der Frau durch das intensive Miterleben der Leidensgeschichte Christi entstanden sein konnten, geben die DNA-Analysen keine Auskunft. Nur soviel bemerkte Burkhard Rolf: Offensichtlich habe Therese Neumann aus besonders dünnen Stellen der Haut regelmäßig geblutet.

Viele Gläubige halten dies für ein christliches Wunder und beantragen seit Jahren die Seligsprechung von Therese. Die Stigmata, wie die blutenden Wundmale bezeichnet werden, gelten ihnen schließlich nur als ein Wunder von vielen, welches das Wirken Gottes auf der Welt bei der tief religiösen Therese Neumann deutlich machte.

Nach Löscharbeiten bei einem Großbrand im März 1918 brach sie entkräftet zusammen und wurde, nach Arbeitsunfällen auf einem Bauernhof, im Oktober des Jahres bettlägerig. Sie war erst zwanzig Jahre alt. Wenige Monate später erblindete sie, es folgten schwere Schluckstörungen. Mit der Diagnose "schwerste Hysterie mit Blindheit und teilweiser Lähmung als Unfallfolge" beantragte der behandelnde Arzt 1919 die Invalidenrente für seine Patientin.

Vom 29. April 1923 an jedoch, dem Tag der Seligsprechung der von ihr verehrten Therese von Lisieux, konnte Therese Neumann wieder sehen. Zwei Jahre später, am Tag der Heiligsprechung ihrer Namensvetterin, wurde sie auch von Krämpfen und Lähmungen befreit. Seit 1926 nahm sie nur noch die heilige Kommunion zu sich, und die Blutungen begannen.

Auf den Fotos, die es von Therese Neumann gibt, wirken die Blutspuren auf Gesicht und Kleidung allerdings künstlich aufgetragen, wie auf dem Spurenworkshop der Kölner Rechtsmediziner zu hören war. Ob die Abteilung für Selig- und Heiligsprechungsprozesse im Bistum Regensburg sich der Meinung der Skeptiker unter den Wissenschaftlern anschließt, bleibt abzuwarten.

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