Das Kryoelektronenmikroskop zeigt Moleküle bei der Arbeit

BERLIN (gvg). Die Zeiten, in denen Forscher ihr Wissen über die molekularen Vorgänge in einer Zelle vor allem durch laborchemische Bestimmung von Stoffwechselprodukten erwarben, sind längst vorbei. Immer leistungsfähigere Mikroskope mit immer besserer Auflösung erlauben es, sich kleinste Moleküle direkt anzusehen. Mit der Kryoelektronenmikroskopie (KEM) läßt sich der molekulare Zellstoffwechsel sogar dreidimensional abbilden.

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Bei der KEM werden Strukturen, etwa gelöste Eiweißmoleküle aus dem Zellplasma, blitzartig auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt (- 273 °C) abgekühlt. In diesem Zustand werden sie unter das Mikroskop gelegt. "Wir erhalten Momentaufnahmen vom Stoffwechsel, die extrem nah an der physiologischen Wirklichkeit sind", erläutert Dr. Roland Beckmann vom Institut für Biochemie der Charité Berlin die Vorteile der KEM.

Zu den Lieblingsstrukturen der KEM-Anhänger gehören Ribosomen, die winzigen Eiweißfabriken der Zelle. Wie ein Industrieroboter schiebt das Ribosom bei der Eiweißsynthese eine an Träger-Nukleinsäuren (t-RNA) gebundene Aminosäure nach der anderen durch seine tunnelartige Fertigungsstraße, um am Ende das gewünschte Eiweiß entweder ins Zellplasma abzustoßen oder es aus der Zelle hinaus zu befördern.

Genau dieses Hinausbefördern haben Beckmann und seine Kollegen jetzt mit einem Kryoelektronenmikroskop erstmals im Bild festgehalten, finanziell gefördert von der Volkswagen-Stiftung (Nature 427, 2004, 808). Produziert ein Ribosom ein für den Export bestimmtes Eiweiß, einen Antikörper etwa, dann wird das von einem als SRP bezeichneten Signal-Erkennungs-Partikel registriert, das selbst aus Eiweißmolekülen und Ribonukleinsäuren besteht. SRP dockt an das Ribosom an, stoppt kurz die Eiweißsynthese und dirigiert den Komplex dann in Richtung Zellmembran, wo die frisch produzierten Peptide direkt nach draußen abgegeben werden können.

Bis jetzt war unklar, wie SRP arbeiten. Die Forscher um Beckmann konnten auf KEM-Fotos zeigen, daß es sich bei SRP um sehr langgestreckte Partikel handelt, die genau dort an das Ribosom binden, wo das neue Eiweiß aus der Fertigungsstraße hervortritt. Mit ihrem langen Schwanz blockieren sie dann die weitere Eiweißsynthese so lange, bis das Ribosom eine Zellmembran erreicht und sich dort festsetzt.

Für die Zukunft schweben Beckmann halbautomatische Kryomikroskope vor, die von einem Ribosom oder von anderen Molekülkomplexen ohne äußere Eingriffe Zehntausende digitaler Bilder aus verschiedenen Perspektiven anfertigen können. Diese werden dann von einem Hochleistungscomputer in 3D-Modelle oder kurze Filmsequenzen der Molekülarbeit umgerechnet: "Wir können dann sehen, wie die kleine Untereinheit der Ribosomen hin und her flitzt und in jedem Zyklus ein neues t-RNA-Molekül in das aktive Zentrum hineinzieht". Gelingen sollen solche Aufnahmen mit einem hochmodernen KEM, das gerade am neu gegründeten Center For Functional Genomics in Berlin aufgebaut wird.



STICHWORT

Center For Functional Genomics (CFFG)

Das Center For Functional Genomics (CFFG) ist ein Zusammenschluß von Forschungszentren, Universitäten und Biotech-Firmen in Berlin und Brandenburg. Beteiligt sind auch das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin, mehrere Max-Planck-Institute und die Berliner und Potsdamer Universitäten.

Im CFFG beantwortet werden sollen Fragen wie: Wann und wo in der Zelle sind welche Gene aktiv? Wann werden welche Eiweiße hergestellt? Welche 3D-Struktur haben die Eiweiße und wie interagieren sie mit anderen Zellstrukturen? Wie unterscheidet sich die Genaktivität bei kranken und gesunden Menschen?

Das erste Projekt des CFFG ist der Aufbau des UltraStrukturNetzwerks (USN), in dem mit der Kryoelektronenmikroskopie die Arbeit von Molekülkomplexen im Zellinneren analysiert werden soll.

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