Darum sind Menschen intelligenter als Mäuse

Forscher am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologiehaben entdeckt, dass Stammzellen im menschlichen Gehirn mehr Neuronen bilden als bei Mäusen.

Von Inge Smolek Veröffentlicht:
Mensch und Maus: Der Schlüssel zur Intelligenz liefert die indirekte Neurogenese. Menschen besitzen mehr Nervenzellen als Mäuse.

Mensch und Maus: Der Schlüssel zur Intelligenz liefert die indirekte Neurogenese. Menschen besitzen mehr Nervenzellen als Mäuse.

© arco images / imago

WIEN. Stammzellen im Gehirn des Menschen produzieren wesentlich mehr Nervenzellen als die entsprechenden Stammzellen bei Mäusen. Professor Jürgen Knoblich, Forscher am Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (IMBA), fand heraus, welche Mechanismen dem zugrunde liegen und warum die Orientierung der Zellen dabei ganz wichtig ist.

Die rasante Größenentwicklung des Gehirns und damit der Entwicklung der Intelligenz ist ein auffälliges Merkmal in der Evolution der Säugetiere.

Während die Gehirnrinde einer Maus rund acht Millionen Nervenzellen (Neuronen) besitzt, sind es beim Menschen mehr als 15 Milliarden - ein gravierender Unterschied, obwohl die Erbanlagen von Maus und Mensch zu über 90 Prozent übereinstimmen.

Stammzellen teilen sich waagrecht oder senkrecht

Nervenzellen entstehen im Gehirn des Embryos aus Stammzellen, die sich stetig teilen. Bei jeder Teilung bilden sich eine Nervenzelle und eine weitere Stammzelle.

So entsteht ein unerschöpflicher Pool für Nachschub. Weshalb Stammzellen beim Menschen wesentlich mehr Nervenzellen bilden können als bei der Maus, wird durch die neuen Arbeiten der IMBA-Wissenschaftler erklärt.

Schon lange ist bekannt, dass Stammzellen sich in verschiedenen Ebenen des Raums teilen können. Die Tochterzellen liegen dann oben und unten oder links und rechts. Nach der gängigen Lehrmeinung legt die Teilungsrichtung fest, ob aus Stammzellen Nervenzellen oder nur wieder Stammzellen entstehen.

Knoblich, der 2009 mit dem Wittgensteinpreis, dem wichtigsten Preis in Österreich, der für Grundlagenforschung vergeben wird, zweifelte an dieser Darstellung. Er wollte nun endgültig Klarheit in den Vorgang bringen.

Eiweißmolekül fungiert als Schalter für Teilungsrichtung

Gemeinsam mit seiner Postdoktorandin Maria Pia Postiglione züchtete er Mäuse, bei denen sich die Teilungsrichtung der Stammzellen willkürlich ändern lässt. Der genetische Trick basiert auf dem Protein "Inscuteable", das wie ein Schalter für die Teilungsrichtung funktioniert: mit Inscuteable teilt sich die Zelle waagrecht, ohne dieses Protein senkrecht.

Untersuchungen an den Mäusen mit dem genetischen Schalter konnten die Lehrbuchmeinung widerlegen: Nervenzellen entstehen sowohl bei senkrechten als auch waagrechten Teilungen, im letzten Fall allerdings in erheblich größerer Menge.

Besitzt eine Maus mehr Inscuteable-Proteine, finden mehr waagrechte Teilungen statt, und es entstehen mehr Nervenzellen. Dieser Mechanismus wird von den IMBA-Forschern auch für die enorme Vermehrung der Nervenzellen im menschlichen Gehirn verantwortlich gemacht.

Höhere Organismen vermehren ihre Nervenzellen über einen Umweg. Bei waagrechter Teilung entsteht außer einer Stammzelle zunächst ein "intermediate progenitor" als Zwischenstufe: Diese Zellart besitzt keine Stammzelleigenschaften mehr, sie kann sich aber immer noch teilen - bei Mäusen durchschnittlich einmal.

Es entstehen also zwei Nervenzellen pro waagrechter Stammzellteilung. Diese indirekte Neurogenese wird ebenfalls durch Inscu teable gesteuert.

Welche Rolle spielt Inscuteable beim Menschen?

Indirekte Neurogenese ist also der Schlüssel zur Entwicklung größerer und intelligenterer Gehirne. Niedere Lebewesen, wie etwa Fische, beherrschen nur direkte Neurogenese und besitzen entsprechend wenige Nervenzellen.

Im Lauf der Evolution entstand die indirekte Neurogenese und wurde immer weiter verfeinert. Bei Menschen sind die "intermediate progenitors" bereits viel komplexer und teilen sich häufiger als bei Mäusen. Daher besitzen Menschen im Vergleich zu Nagern ein Vielfaches an Nervenzellen.

Ob Mäuse ohne Inscuteable aufgrund der geringeren Nervenzellen dümmer sind als ihre Artgenossen, ließ sich bisher nicht feststellen. Auch nicht, ob eine künstlich induzierte Überproduktion des Proteins zu intelligenteren Tieren führt.

"Spannend ist die Frage, welche Rolle Inscuteable beim Menschen spielt", wird Knoblich in einem Beitrag für die "Ärzte Woche" (2011; 44) zitiert.

"Wahrscheinlich regelt es auch in unserem Körper die Zahl der Neuronen, indem es indirekte Neurogenese aktiviert. Die Evolution des Proteins und seiner Funktion könnte zur enormen Vergrößerung des Menschenhirns beigetragen haben."

Ein weiteres Forschungsergebnis unterstützt diese Vermutung: Das Teilungsmuster der intermediate progenitors korreliert eng mit der Höhe der Intelligenz. Außer beim Menschen kommt es in dieser Form nur bei anderen Primaten vor. Ohne Inscuteable wären wir ohne Zweifel nicht das, was wir sind.

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