Schnelle Hilfe bei lokalen Erfrierungen

Lokale Erfrierungen sind in diesem Winter keine Seltenheit - denn Skifahrer, Wanderer oder Radfahrer unterschätzen oft die Auswirkungen der Kälte.

Von Dr. Walter Treibel Veröffentlicht:
Erfrorene Fingerspitzen Grad 2 mit zum Teil blutgefüllten Blasen. Bei dem Bergsteiger wurde später die Spitze des linken Ringfingers amputiert. © Walter Treibel

Erfrorene Fingerspitzen Grad 2 mit zum Teil blutgefüllten Blasen. Bei dem Bergsteiger wurde später die Spitze des linken Ringfingers amputiert. © Walter Treibel

© Walter Treibel

Ein Patient klagt über Gefühllosigkeit an den Fingerspitzen, die etwas weiß bis grau erscheinen. Übers Wochenende war es sehr kalt. Beim Skifahren hatte er wegen eines Problems längere Zeit mit bloßen Fingern an der Skibindung hantiert. Er selbst wäre wegen der Beschwerden nie in die Praxis gekommen, aber seine Frau hat ihn dazu gedrängt. Der geschilderte Fall gibt einen wertvollen Hinweis: Bergsteiger oder Skifahrer mit Erfrierungen haben manchmal ein schlechtes Körpergefühl oder neigen zum Dissimulieren. Auf genaues Befragen gibt der Betroffene zu, dass er in der Vergangenheit schon ähnliche Probleme hatte.

Nach der Therapie (Aufwärmen im Wasserbad, ASS 100 mg, Heparin-Injektionen) löste sich die erfrorene Haut nach einigen Tagen ab, die Gefühlsstörungen dauerten länger an. Am wichtigsten war die Aufklärung: zu Hause Wechselbäder zum Gefäßtraining, unterwegs bei Kälte kein Hautkontakt mit Metall, immer Ersatzhandschuhe mitnehmen und die empfindlich gebliebenen Fingerspitzen genau beobachten.

  • Wie kommt es zu Erfrierungen?

Bei Erfrierungen handelt es sich um lokal begrenzte Kälteschäden ohne Abkühlung des Körperkerns. Es kommt dabei nicht nur zur Eiskristallbildung, Zellschädigung oder gar zum Absterben, sondern auch zu einer schweren Durchblutungsstörung der angrenzenden Bezirke. Besonders gefährdet sind Zehen, Finger, Nase und Ohren (große Oberfläche, schlechte Blutversorgung). Der Kältereiz führt mit Konstriktion der Blutendgefäße zu einer Minderung der Blutzufuhr, zum Aneinanderkleben von Blutplättchen und - verbunden mit eventuellem Sauerstoffmangel in größeren Höhen - zu einer Verlangsamung und schließlich zum Stillstand des ernährenden und erwärmenden Blutstroms. Der Kälteeffekt wird durch Wind und Nässe gesteigert. Erfrierungen der Füße in nassen Schuhen sind schon bei Temperaturen weit über null Grad möglich. Besonders gefährlich ist auch die Kombination von Kälte und Druck (enge Schuhe oder Steigeisenbindung).

Der Beginn der lokalen Erfrierung ist meist unmerklich und schmerzlos. Das einzige Warnsymptom besteht in anhaltender Gefühllosigkeit und muss unbedingt beachtet werden. Merke: Im Gelände sind Schweregrad und Ausdehnung der Erfrierung noch nicht zu unterscheiden: Jede Erfrierung sieht anfangs aus wie eine Erfrierung ersten Grades.

  • Erste-Hilfe-Sofortmaßnahmen im Gelände:

Wichtig bei Bergsteigern ist zunächst, für einen Windschutz im Biwaksack oder Schneeloch zu sorgen, sowie einengende Kleidung oder Schuhe zu lockern. Erfrierungen im Gesicht (meist rundliche weiße Flecken an Nase, Wangen oder Ohren) werden durch Auflegen von warmen Händen erwärmt. Das Gleiche gilt für gefühllose Zehen, aber nur an einem windstillen Ort. Ein Auftauen in der Achselhöhle oder zwischen den Oberschenkeln kommt vor allem für taube Finger und Hände infrage. Chemische Wärmebeutel sollten nur bei beginnender Erfrierung eingesetzt werden.

Aktive Bewegungsgymnastik und vorsichtige Massage sind nur sinnvoll, wenn keine allgemeine Unterkühlung vorliegt. Ansonsten sollten nasse Kleider gewechselt und warme Getränke gegeben werden. Körperteile, die an Metallgegenständen festgefroren sind, sind mit lauwarmem Wasser abzulösen. Bei schweren Erfrierungen sind wegen der Gefühllosigkeit und Hautempfindlichkeit ein warmer, lockerer Verband sowie eine druckfreie Lagerung und passiver Abtransport nötig, etwa in eine Hütte, da eine entsprechende Behandlung im Freien kaum möglich ist.

  • Erste Hilfe in warmer, windgeschützter Umgebung:

Die weitere Behandlung mit dem Auftauen der erfrorenen Gliedmaßen ist nur in Unterkünften mit günstigen äußeren Bedingungen (warme Hütte oder Zelt) sinnvoll. Dann ist auch die Einnahme von Alkohol empfehlenswert, da er durch seine starke gefäßerweiternde Wirkung die Durchblutung im Gewebe fördert. Erfrierungen dürfen nur behandelt werden, wenn keine allgemeine Unterkühlung vorliegt und ein Unterkühlter bereits erfolgreich wiedererwärmt worden ist. Am günstigsten, vor allem bei frischen Erfrierungen, ist das rasche Auftauen der erfrorenen Körperteile in einem körperwarmen Wasserbad (bis maximal 40°C) unter aktiver Bewegung. Da dies sehr schmerzhaft ist, sollten Schmerzmittel gegeben werden, falls möglich unter ärztlicher Kontrolle. Begonnen wird mit lauwarmem Wasser, und unter aktiver Bewegung der Finger oder Zehen wird laufend warmes Wasser nachgegossen. Das Bad kann beendet werden, wenn eine rosige Hautfarbe auftritt, das Gewebe ganz aufgetaut ist und auch wieder Bewegungen möglich sind, spätestens jedoch nach 30 Minuten, damit es zu keiner Hautaufweichung kommt.

Nach vorsichtigem Abtrocknen empfiehlt sich ein keimfreier Watteverband. Bei oberflächlichen Erfrierungen kehrt das Gefühl nach dem Auftauen schnell zurück, bei tiefen Erfrierungen jedoch nicht. Ansonsten ist die betroffene Extremität hochzulagern, um Schwellungen zu vermeiden. Die zusätzliche Gabe von ASS (100-300 mg) führt zu einer besseren Durchblutung des geschädigten Gewebes. Merke: Kein Einreiben mit Schnee (Hautverletzungen möglich), keine Blasen eröffnen (Infektionsgefahr), erfrorene Stellen nicht in den Mund nehmen (wegen Verdunstungskälte durch Feuchtigkeit) und nicht rauchen (Gefäßverengung).

  • Ärztliche Therapie und Prognose:

Erscheinen die Blasen nach der Wiedererwärmung hell und homogen, so haben diese eine bessere Heilungschance als dunkle und blutgefüllte Blasen. Letztere lassen Dauerschäden erwarten. Die Therapie sollte bei Erfrierungen ab Grad 2 am besten in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. Infrage kommen etwa eine Infusionstherapie mit Vasodilatation, Heparinisierung oder eine hyperbare Sauerstofftherapie.

Frühamputationen werden heutzutage nicht mehr gemacht. Stattdessen wird die Spontanabstoßung des zerstörten Gewebes abgewartet, was mehrere Monate dauern kann. Bei Erfrierungen Grad 3 können zu einem späteren Zeitpunkt auch noch rekonstruktive Maßnahmen durch plastische Chirurgie vorgenommen werden: Nekrosenabtragung, Teilamputationen, Lappenplastik oder Hauttransplantationen. Mögliche Spätfolgen ab Grad 2 sind Durchblutungsstörungen und eine erhöhte Gefahr von weiteren Erfrierungen.

Der Orthopäde und Sportmediziner Dr. Walter Treibel ist auch Spezialist für Bergmedizin. www.treibel-bergmed.de

Einteilung von Erfrierungen

  • Grad 1: Blasses, (grau-)weißes, kaltes, gering geschwollenes Gewebe, schmerzlos, jedoch mit Gefühlsstörungen (Taubheit). Nach dem Auftauen ist die Haut gerötet, später auch bräunlich verfärbt und blättert nach ein paar Tagen ab. In der Regel kommt es zur vollständigen Heilung, jedoch bleibt eventuell eine lokale Kälteempfindlichkeit bestehen.
  • Grad 2: Die Gegenregulation (Engstellung der Blutgefäße) ist aufgehoben. Dadurch entsteht ein scheinbar wohliges, aber psychologisch gefährliches Wärmegefühl, da der Erfrierungsprozess trotzdem voranschreitet. Es kommt zur blauroten Verfärbung, Blasenbildung mit Infektionsgefahr und zu Zerstörungen im Haut- und Unterhautgewebe. Die Schäden sind erst nach ein bis drei Tagen beurteilbar und hinterlassen meist ein sehr empfindliches Gewebe an der Erfrierungsgrenze.
  • Grad 3: Es kommt zu arteriellen Gefäßverschlüssen und tiefen Gewebezerstörungen sowie Entzündungen und Geschwüren. Charakteristisch sind meist harte, gefrorene Gewebeschichten sowie nach dem Auftauen völlige Gefühllosigkeit und starke Schwellung. Später entstehen eine blauschwarze Verfärbung und eine Mumifizierung mit scharfer Abgrenzung vom gesunden Gewebe sowie eine Abstoßungsreaktion. Das Ausmaß des Schadens ist spätestens nach ein bis zwei Wochen erkennbar, die Abheilung kann Monate dauern.

Risikofaktoren für lokale Erfrierungen

  • Enge Kleidungsstücke oder Schuhe: Sie vermindern die lokale Blutzirkulation, vor allem in den Fingern und Zehen.
  • Verlust von Kleidungsstücken: Bei großer Kälte ist der Verlust von Handschuhen, Gamaschen oder der Mütze sehr gefährlich.
  • Wassermangel: Durch die Bluteindickung kommt es zu einer gestörten Zirkulation und zu einem langsameren Sauerstofftransport mit schlechterer Gewebeversorgung.
  • Große Höhe: Auch Sauerstoffmangel durch Luftdruckabfall begünstigt örtliche Erfrierungen im Gewebe.
  • Bereits bestehende Durchblutungsstörungen (etwa Raynaud-Symptomatik), vorausgegangene Erfrierungen und Rauchen.
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