Dick oder dünn? Das regeln zwei Hormone

Insulin und Leptin orchestrieren im Gehirn sämtliche Prozesse, die mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängen. Dazu gehören körperliche Aktivitäten ebenso wie die Lipolyse und die Glukoseproduktion in der Leber.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
Bei dicken Menschen sind offenbar Mechanismen in den Hirnzentren von Sucht und Belohnung verändert.

Bei dicken Menschen sind offenbar Mechanismen in den Hirnzentren von Sucht und Belohnung verändert.

© Peter Albrektsen / fotolia.com

Tag für Tag muss der Körper die Nahrungsaufnahme dem Energieverbrauch anpassen - und das funktioniert bei vielen Menschen nicht.

Die Adipositas ist in Deutschland endemisch - was läuft schief? Der Kölner Grundlagenforscher Professor Jens Brüning vom Max-Planck-Institut für neurologische Forschung und seine Mitarbeiter haben einige Details geklärt.

Wenn man täglich nur vier Stücke Würfelzucker über die etwa 2000 Kilokalorien konsumiert, die der Mensch täglich braucht, um die Energiehomöostase zu halten, bedeutet das eine Gewichtszunahme um 30 Kilogramm Körperfett in zehn Jahren, rechnete Brüning in Wiesbaden vor.

Bereits in den 1950er Jahren wurde vermutet, dass eine permanente Kommunikation zwischen Körperperipherie und Gehirn stattfindet, um die Energiehomöostase aufrecht zu erhalten, also Energieverbrauch und -aufnahme zu regulieren. Das Gehirn bekommt Nachrichten, wie viel Energie in der Peripherie vorhanden ist.

Inzwischen weiß man, dass das weiße Fett Leptin produziert und dem Hypothalamus, der Steuerzentrale für die Nahrungsaufnahme, signalisiert: Satt, Essen einstellen! Eine angeborene Leptinresistenz führt zur Adipositas und weiteren endokrinen Abnormitäten.

Erhalten solche Patienten rekombinantes Leptin, werden sie schlanker, und endokrine Fehlregulationen mit klinischen Folgen wie Schilddrüsendysfunktion oder verzögerter Pubertät renken sich ein.

Die Vorstellung, damit sei das Problem Adipositas gelöst, hat sich jedoch als Fehlannahme erwiesen. Die Sache ist wesentlich komplexer. Denn die meisten adipösen Menschen weisen nicht verminderte Leptin-Spiegel auf, sondern erhöhte. Viel Fett produziert viel Leptin.

Dieses wirkt jedoch nicht mehr adäquat. "Höhere Hirnfunktionen bewirken, dass wir trotz Leptinsignal weiter essen", sagte Brüning, etwa wenn das Essen lecker aussieht oder man in netter Gesellschaft is(s)t. Das liegt unter anderem am Insulin.

Inzwischen ist klar, dass Insulin nicht nur die Zucker-Transportkanäle in den Membranen der Muskel- und Fettzellen öffnet oder die Zuckerneubildung in der Leber hemmt. Insulin und Leptin orchestrierten im Gehirn sämtliche Prozesse, die mit der Nahrungsaufnahme zusammenhängen, so Brüning.

Dazu gehören körperliche Aktivitäten ebenso wie die Lipolyse und die hepatische Glukoseproduktion. Insulin hat also zentralnervöse Effekte. Insulin und Leptin steuern darüber hinaus direkt dopaminerge Neuronen in Zentren an, die an Belohnung und Sucht beteiligt sind.

Mehr noch: Es wurde ein Gen (FTO) identifiziert, dessen Varianten ein verändertes belohnungsassoziiertes Verhalten und strukturelle Veränderungen in Belohnungszentren auslösen. Menschen, die dieses "Adipositas-Allel" haben, neigen zu einer Art Suchtverhalten, wie verhaltenspsychologische Tests ergeben haben.

Neu ist außerdem, dass Adipositas-Patienten zwar peripher eine Insulinresistenz aufweisen, Hirnzellen mit Insulinrezeptoren aber nur selektiv Insulin-resistent werden.

Nicht alle Neuronen hemmen somit die Nahrungsaufnahme, andere Neurone mit erhaltener Insulinwirkung tragen weiterhin zu einer positiven Energiebilanz bei.

Damit kann man Insulin heute nicht mehr einfach als anorexigenes oder orexigenes Hormon bezeichnen. Je nach Stoffwechselsituation kann es gegenteilige Effekte bewirken.

All diese Erkenntnisse könnten künftig Ansätze für neue pharmakologische Interventionen bei Adipositas bieten, sagte Brüning. Interessant wird zudem sein, inwiefern Insulin auch proinflammatorische Prozesse bei Adipositas vermittelt.

Unter Wissenschaftlern wird dies kontrovers diskutiert. Für die Folgeerkrankungen der Fettleibigkeit ist das jedoch ebenfalls von wesentlicher Bedeutung.

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