Wachstumsfaktor BDNF

Mögliche Alzheimer-Bremse

Produziert das Gehirn sehr viel von einem bestimmten Wachstumsfaktor, schreitet der kognitive Abbau im Alter langsamer voran. Wissenschaftler hoffen, dass sich daraus möglicherweise ein neuer Ansatz zur Therapie bei Morbus Alzheimer ergibt.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Kognitiver Abbau: BDNF scheint die Beta-Amyloid-Synthese im Gehirn bei Morbus Alzheimer zu bremsen.

Kognitiver Abbau: BDNF scheint die Beta-Amyloid-Synthese im Gehirn bei Morbus Alzheimer zu bremsen.

© freshidea / fotolia.com

CHICAGO. Der Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) ist ein wahrer Tausendsassa: Er hält existierende Nervenzellen am Leben, unterstützt das Wachstum und die Differenzierung neuer Neuronen und Synapsen, und das vor allem in Regionen wie dem Hippocampus und basalen Vorderhirnstrukturen, die mit Lernen, Gedächtnis und höheren Hirnfunktionen in Verbindung stehen.

Er sollte daher ein geeigneter Kandidat zur Prävention einer Krankheit sein, bei der Lernen, Gedächtnis und höhere Hirnfunktionen massiv beeinträchtigt werden. Forscher schielen daher schon lange auf BDNF zu Prävention und Therapie von Alzheimer.

Allerdings ist bislang nur wenig über die Bedeutung des Wachstumsfaktors bei neurodegenerativen Erkrankungen bekannt. Man weiß, dass die BDNF-Expression im Alter sinkt. Autopsiestudien hatten zudem ergeben, dass BDNF-Werte bei Alzheimerpatienten besonders niedrig sind.

535 Gehirne untersucht

Neurologen und Pathologen um Dr. Aron Buchman vom Rush University Medical Center in Chicago wollten wissen, ob der kognitive Abbau vor dem Tod irgendwie mit der BDNF-Expression im Gehirn korreliert.

Zu diesem Zweck haben sie ältere Teilnehmer von zwei Longitudinalstudien jährlich 19 verschiedenen Kognitionstests unterzogen (Neurology 2016; 86:735-741).

Nach dem Tod der Teilnehmer bestimmten sie deren BDNF-Expression im dorsolateralen präfrontalen Kortex und schauten nach neurodegenerativen Veränderungen wie Amyloid-Plaques, Lewy-Körperchen, Tau-Fibrillen oder Infarktspuren.

Insgesamt standen ihnen 535 Gehirne von Verstorbenen zur Verfügung. Diese waren vor dem Tod bis zu 16 Jahre untersucht worden, im Mittel hatten die Personen 6,3 Jahre an den Studien teilgenommen.

Bei der letzten Untersuchung vor dem Tod, der im Mittel mit 89 Jahren eintrat, hatten 42 Prozent eine Demenz, 26 Prozent leichte und 32 Prozent keine kognitiven Einschränkungen. Der MMST-Wert lag im Mittel bei 21 Punkten.

Die Ergebnisse der Kognitionstests fassten die Forscher um Buchman in einem Summenscore zusammen. Dieser nahm im Mittel pro Jahr um 0,1 Einheiten ab.

Der kognitive Abbau war dabei umso langsamer, je mehr BDNF-RNA die Wissenschaftler in den Gehirnen post mortem nachweisen konnten.

Bei den Teilnehmern mit BDNF-Werten unter der zehnten Perzentile war der Summenscore nach acht Jahren um rund einen Punkt gesunken, bei denen über der 90. Perzentile hingegen nur um einen halben Punkt.

Besonders ausgeprägt war der Zusammenhang bei Demenzpatienten: Je mehr BDNF-RNA die Forscher post mortem nachweisen konnten, umso langsamer war der geistige Abbau zu Lebzeiten verlaufen.

Dies traf aber nur auf Personen mit Alzheimerpathologie zu, nicht auf solche mit einer Lewy-Körperchen-Erkrankung, mit einer Hippocampussklerose oder mit makroskopischen Infarktspuren.

Bei Verstorbenen mit ausgeprägter Alzheimerpathologie und geringer BDNF-Expression verlief der kognitive Abbau rund 40 Prozent schneller als bei solchen mit Alzheimerpathologie und relativ hohen BDNF-Werten.

Dagegen war bei Teilnehmern ohne Alzheimerpathologie nur ein minimaler kognitiver Abbau zu beobachten - weitgehend unabhängig von ihren BDNF-Werten.

BDNF als Reserve gegen neuronale Schäden

Die Forscher um Buchman vermuten, BDNF könnte die Auswirkungen einer Alzheimerdemenz mildern und als eine Art Reserve gegen die neuronalen Schäden fungieren.

Allerdings lässt sich eine umgekehrte Kausalität nicht ausschließen: Vielleicht fährt eine besonders schnell verlaufende Alzheimerdemenz verstärkt die BDNF-Produktion herunter.

So sind aus präklinischen Versuchen komplexe Interaktionen zwischen BDNF und Beta-Amyloid bekannt. Dabei scheint das Alzheimerpeptid die BDNF-Produktion zu unterdrücken, umgekehrt kann BDNF offenbar die Beta-Amyloid-Synthese bremsen. In beiden Fällen wäre es jedoch günstig, die BDNF-Konzentration hoch zu halten.

Ein solcher Ansatz hat einen gewissen Reiz: Falls BDNF tatsächlich den kognitiven Abbau bremst, könnte eine BDNF-steigernde Therapie sowohl bei ersten kognitiven Einschränkungen als auch noch bei einer manifesten Alzheimerdemenz die geistigen Funktionen erhalten.

Im Gegensatz dazu müssen die gegen Amyloid gerichteten Therapien, die derzeit entwickelt werden, wohl schon Jahre vor Beginn der Demenz zum Einsatz kommen, um eine Wirkung auf die Kognition zu entfalten.

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Kommentare
Dipl.-Psych. Antje Kräuter 10.05.201616:28 Uhr

anderer Forschungsansatz

Man müßte untersuchen, ob nicht Traumapatienten besonders wenig von diesem BDNF-Wachstumsfaktor haben. Dies ist wahrscheinlich, da Traumatisierung generell die Funktion des Hippocampus beeinträchtigt, solange, bis das Trauma in einer entsprechenden Therapie verarbeitet ist.

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