Hintergrund

Höhere Steuern gegen Diabetes

Schlechte Ernährung und Bewegungsmangel: jeden Tag erkranken deswegen hunderte Menschen in Deutschland neu an Diabetes. Ärzte und Politiker wollen das ändern - sie fordern Werbeverbote, höhere Steuern und den Bann süßer Limonanden an Schulen. Doch bei mancher Idee scheiden sich die Geister.

Wolfgang GeisselVon Wolfgang Geissel Veröffentlicht:
Prof. Michael Stumvoll (Leipzig), Prof. Beate Kretschmer (Lilly), Jens Spahn, CDU, Prof. Joachim Spranger (Berlin), Nicole Maisch (Grüne), Dr. Wolfgang Panter (Betriebsärzte), Prof. Thomas Danne (diabetesDE) (v.l.).

Prof. Michael Stumvoll (Leipzig), Prof. Beate Kretschmer (Lilly), Jens Spahn, CDU, Prof. Joachim Spranger (Berlin), Nicole Maisch (Grüne), Dr. Wolfgang Panter (Betriebsärzte), Prof. Thomas Danne (diabetesDE) (v.l.).

© Kietzmann/Brand Associates

Jeden Tag erkranken in Deutschland 700 Menschen neu an Diabetes. Wenn sich der Trend fortsetzt, wird sich die Zahl der Diabeteskranken bei uns von heute etwa 7,5 Millionen bis zum Jahr 2030 auf 14 Millionen fast verdoppeln.

Abgesehen vom schweren Leid der Betroffenen, wird dann das Gesundheitssystem in Deutschland pleite gehen, haben Ärzte beim Auftakt der Kampagne "Patient Journey" in Berlin prophezeit. Die Brisanz sei im Bewusstsein der Politik noch nicht angekommen.

Nur durch Prävention und konsequente Therapie lasse sich das Ausmaß von Erkrankungen und Komplikationen in den nächsten Jahren eindämmen.

Hier setzt die vom Unternehmen Lilly und der Charité Universitätsmedizin in Berlin initiierte "Patient Journey" an: In mehreren Stationen sollen Politiker und Diabetes-Experten zusammengebracht werden, um vordringliche Probleme zu diskutieren.

Themen: wie Diabetes vorgebeugt werden kann, wie sich durch konsequente Behandlung Komplikationen wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Erblindung, Fußamputationen oder Nierenversagen vermeiden lassen und auch, wie die künftig notwendige Zahl an Diabetologen ausgebildet werden kann.

Ergebnisse könnten dann in einem "Nationalen Diabetesplan" Eingang finden. Start der Kampagne war in der vergangenen Woche eine Podiumsdiskussion mit Experten und Gesundheitspolitikern.

Jens Spahn, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, setzte sich für eine Politik der kleinen Schritte ein: Er will generell Bewegungsmangel und ungesunde Ernährung mit Übergewicht thematisieren und damit die Prävention der großen Volkskrankheiten wie Diabetes voranbringen.

Bessere Kennzeichnung von Lebensmitteln

Ein positives Beispiel hat er in Finnland gefunden. Dort hätten sich Politik und Industrie zusammengesetzt, mit dem Ziel, den Salzgehalt in Lebensmitteln zu senken, um zum Beispiel die Inzidenz von Hypertonie und Schlaganfall zu verringern.

Das sei binnen zehn Jahren auch gelungen. Ähnlich sollten sich bei uns die "Mitspieler in Bund und Ländern" sowie die Industrie und Betriebe und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung zusammensetzen, um ein Nationales Konzept für Bewegung und gesunde Ernährung zu entwickeln.

Seine Kollegin Nicole Maisch, verbraucherpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen findet davon aber in der aktuellen Ernährungspolitik nichts wieder. Sie favorisiert die Ampel-Kennzeichnung von Lebensmitteln, um etwa hochkalorische Produkte eindeutig zu kennzeichnen.

Dies sei von CDU, FDP und Industrie aber verhindert worden. "Und mit der heute verbindlichen GDA-Kennzeichnung könnte ich die Informationen auch auf finnisch draufschreiben, die kapiert niemand", betonte Maisch. "Es gibt viele Ansätze, die nichts kosten, wir sind aber zu wenig ambitioniert",

Auch der Pädiater und Diabetologe Professor Thomas Danne aus Hannover (Vorstand von diabetesDE) ist "gnadenlos enttäuscht von der Politik". Für ihn ist das soziale Gefälle seiner Patienten ein riesiges Thema.

Beispiel Nichtraucherschutz

"Besserverdienende wissen, wie man Adipositas und Diabetes vorbeugt; die anderen kriegen es aber nicht hin", betont er. Um Menschen vor ungesunder Lebensweise besser zu schützen, setzt er sich zum Beispiel für die Besteuerung stark zuckerhaltiger Lebensmittel ein, aber auch für Einschränkungen bei der Werbung für Lebensmittel von Kindern.

Als weitere Maßnahmen fordert er die tägliche Stunde Schulsport oder auch Qualitätsstandards bei der Schulverpflegung, etwa ein Verkaufsverbot zuckerhaltiger Limonaden in Schulen. Aber nicht nur in Schulen, sondern auch in Betrieben gäbe es viele Chancen für die Diabetes-Prävention.

"Wir brauchen dazu ein Ziel", betont Dr. Wolfgang Panter. Der Präsident des Verbands deutscher Betriebs- und Werksärzte e.V. könnte sich zum Beispiel Aktionen zur Prävention von Übergewicht bei Jugendlichen vorstellen.

Wenn aber zum Beispiel Betriebsärzte dazu etwas organisierten, dann seien die Betroffenen bei verschiedenen Krankenkassen versichert, und es gebe Probleme bei der Kostenerstattung.

Panter sieht eine gelungene Kampagne beim Nichtraucherschutz. Rauchen war viele Jahre völlig akzeptiert, sogar in der Schule. "Vor 20 Jahren habe ich mir beim Nichtraucherschutz in Betrieben noch eine blutige Nase geholt. Mit den heutigen Regelungen haben wir schon zehn Prozent weniger Raucher im Betrieb."

Lesen Sie dazu auch: Experten wollen Softdrinks aus Schulen verbannen

Ihr Newsletter zum Thema
Lesen sie auch
Mehr zum Thema

Typ-2-Diabetes

Therapie mit Tirzepatid kann Retinopathie verschlechtern

Das könnte Sie auch interessieren
Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

© Aleksandr | colourbox.de

Fatal verkannt

Vitamin-B12-Mangel frühzeitig behandeln!

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

© polkadot - stock.adobe.com

Vitamin-B12-Mangel

Aktuelle Empfehlungen für die Praxis

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
B12-Mangel durch PPI & Metformin

© Pixel-Shot - stock.adobe.com

Achtung Vitamin-Falle

B12-Mangel durch PPI & Metformin

Anzeige | WÖRWAG Pharma GmbH & Co. KG
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Dr. Ernst Weiland 28.03.201210:44 Uhr

Steuern gegen Adipositas - kann man der Politik trauen?

Wie beschrieben eingesetzt (höhere Steuern auf Lebensmittel mit hohem Kaloriengehalt, z.B. wg. Zucker, Fett)könnten die Steuern edlich mal das tun, was sie dem Namen nach behaupten, nämlich steuern.

Jedoch: darf man der Politik dabei trauen? Wofür werden diese Steuermehreinnahmen dann verwendet? Für die Sanierung von NRW-Städten? Zur Finanzierung des Afghanistan-Einsatzes? Hier liegt der Hase nämlich im Pfeffer. Unsere Politiker lassen sich nämlich nicht auf die Zweckgebundenheit von Steuereinnahmen festlegen. Die wäre hier jedoch vonnöten, wenn diese Maßnahme effizient sein soll. Die Steuereinnahmen aus der Höherbesteuerung hochkalorischer Lebensmittel müsste nämlich auf direktem Weg an die Krankenkassen fliessen. Denn dort entstehen die kosten für gesundheitsschädliche Ernährung. So würden diejenigen, die es nicht lassen können, einen Teil der dadurch entstehenden Schäden selbst finanzieren. Und diejenigen, die gesundheitsbewusst leben, können diese Steuer ganz legal vermeiden, insofern ist es auch noch eine gerechte Steuer.

Rechnet man den Verbrauch der Haupttreiber gesundheitsschädlicher Lebensweise pro Jahr und Kopf zusammen (38 kg pures Fett, 41,5 kg Zucker, ca. 11 l reinen Alkohol, 1800 Zigaretten, dies alles mal 82 mio Einwohner), dann kommt man durch Wegfall des bevorzugten Mehrwertsteuersatzes für solche Lebensmittel (dann 19% stat 7%,)durch die Erhöhung der Brandweinsteuer um jeweils 5 Euro pro Liter (1 Liter Bier verteuert sich dadurch um 0,25 Euro) sowie die Anhebung der Tabaksteuer um 2 Cent pro 5 g Tabak (entspricht in etwa einer Zigarette) auf Milliardenbeträge, die jedes Jahr eingenommen würden, natürlich hoffentlich mit sinkender Tendenz, je vernünftiger die Leute werden. Dem gegenüber stünde dann ja auch eine entsprechende Einsparung aus Gesundheitsausgaben, die sich allerdings leider nicht sofort sondern erst später realisiert.

Aber siehe oben: ist die Politik auch bereit, die Finger von diesem Geld zu lassen und es nicht zweckfremd einzusetzen?

Sonderberichte zum Thema
Abb. 2: TriMaximize-Studie: Verbesserung der Lebensqualität nach Umstellung auf extrafeine Dreifachfixkombination

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [8]

Mittelgradiges bis schweres Asthma bronchiale

Bessere Kontrolle und Lebensqualität unter inhalativer Triple-Therapie

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Chiesi GmbH, Hamburg
Porträts: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

© Portraits: [M] Feldkamp; Luster | Hirn: grandeduc / stock.adobe.com

„ÄrzteTag extra“-Podcast

Die Schilddrüse tickt in jedem Lebensalter anders

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt am Main
Abb. 1: Studie DECLARE-TIMI 58: primärer Endpunkt „kardiovaskulärer Tod oder Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz“ in der Gesamtkohorte

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [4]

Diabetes mellitus Typ 2

Diabetes mellitus Typ 2 Präventiv statt reaktiv: Bei Typ-2-Diabetes mit Risikokonstellation Folgeerkrankungen verhindern

Sonderbericht | Beauftragt und finanziert durch: AstraZeneca GmbH, Hamburg
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Elektronische Patientenakte

So steht es um die ePA in den Krankenhäusern

Vier Erreger im Blick

Kampf gegen Antibiotikaresistenzen: Werden die Ziele erreicht?

Lesetipps
In der Grippe-Saison 2025/2026 in Europa wird die Influenza-Variante, A(H3N2) der Subklade K wahrscheinlich eine dominierende Rolle spielen.

© peterschreiber.media / stock.adobe.com

Influenza A(H3N2) Subklade K

Grippe-Saison in diesem Jahr früher – ECDC rät zu Impfung

Eine Frau sitzt vor dem PC und schneuzt in ein Taschentuch.

© StockPhotoPro / stock.adobe.com

Überforderung und Erschöpfung

Krank zur Arbeit – das erhöht das Fatigue-Risiko

Dreidimensionale Darstellung einer Röntgenaufnahme der Vorderansicht eines Menschen mit Körperkonturen und farblich hervorgehobenen aufsteigenden Dickdarm.

© Matthieu / stock.adobe.com

Fallbericht

Starker Verdacht auf Kolonkrebs – und das steckte dahinter