Hightech-Fasern machen's möglich

Künstliches Gewebe heilt kranke Organe

Forscher am Fraunhofer-Institut in Stuttgart vermelden erste Erfolge mit Vlies aus Hightech-Fasern als Gewebeersatz. Die Technologie könnte es eines Tages ermöglichen, etwa geschädigte Herzmuskeln zu heilen oder gut verträgliche Implantate herzustellen.

Veröffentlicht:
Das Vlies aus Hightech-Fasern ersetzt menschliches Gewebe. Die rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigen mit Zellen besiedelte elektrogesponnene Trägersubstrate.

Das Vlies aus Hightech-Fasern ersetzt menschliches Gewebe. Die rasterelektronenmikroskopischen Aufnahmen zeigen mit Zellen besiedelte elektrogesponnene Trägersubstrate.

© Fraunhofer IGB

STUTTGART. Sind Organe oder Gewebe irreparabel beschädigt, kann dem Patienten bekanntlich meist nur durch ein Spenderorgan oder ein Implantat aus Kunststoff geholfen werden. Doch oftmals stößt der Körper den Ersatz ab.

Abhilfe schaffen Implantate aus körpereigenen Zellen, auf die der menschliche Organismus nicht sensibel reagiert. Um wachsen zu können, benötigen die Zellen eine Art Unterlage, ein strukturelles Gerüst.

Forscher am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik IGB in Stuttgart entwickeln solche Trägersubstrate - auch Scaffolds genannt - gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Tübingen und der UCLA, University of California, Los Angeles, durch Elektrospinnen.

Bei diesem Verfahren werden synthetische und biologisch abbaubare Polymere wie Polylaktid elektrisch zu Fasern versponnen. Sie vernetzen sich zu einer Art Vlies, einer dreidimensionalen Matrix.

Zellen im Körper kultivieren

Hierbei wählen die Wissenschaftler einen besonderen Ansatz, teilt die Fraunhofer-Gesellschaft mit. Während des Elektrospinnens mischen sie dem Polymer Proteine bei, die sie ebenfalls in die hauchdünnen Fasern einspinnen.

Die derart ausgestatteten Trägersubstrate sollen - nachdem sie dem Patienten eingesetzt wurden - körpereigene Zellen binden. "Durch das Elektrospinnen können wir ein zellfreies Trägersubstrat implantieren, das erst nach dem Einsetzen im Körper von Zellen besiedelt wird.

Spezielle Proteine haben die Fähigkeit, spezifische Zellen anzulocken, die dann auf dem Scaffold anwachsen. Je nach gewähltem Protein soll sich Herzgewebe bilden oder krankes Gewebe regeneriert werden", wird Dr. Svenja Hinderer, Wissenschaftlerin am IGB in Stuttgart, in der Mitteilung zitiert.

Die Trägersubstrate werden wie dünne Häutchen flach gesponnen und in der gewünschten Größe zugeschnitten. Soll beispielsweise ein geschädigter Herzmuskel behandelt werden, werden die Scaffolds - je nach Größe des verletzten Bereichs - wie ein Tuch über den kranken Muskel gelegt.

Im menschlichen Organismus lösen sich die Polymerfasern innerhalb von etwa 48 Monaten auf. Die Zellen, die währenddessen an die Proteine andocken, erhalten durch die Trägerstruktur eine heimische Umgebung. Sie produzieren ihre eigene Matrix und stellen die Funktion des Gewebes wieder her.

Erfolgreiche Tests im Bioreaktor

Sowohl in Laborversuchen als auch in Tests im Bioreaktor verzeichneten die Forscher bereits Erfolge, so die Fraunhofer-Gesellschaft. So hätten sie nachgewiesen, dass Tracheazellen der Luftröhre, die in vitro schwer kultivierbar sind, sich an das Protein Decorin anheften und anwachsen.

Ein weiteres Protein - der Wachstumsfaktor SDF-1 - bindet spezielle Stammzellen, die Progenitorzellen. Diese werden für den Aufbau von Herzklappen und die Neubildung von Herzmuskelzellen nach einem Infarkt benötigt.

"Unsere durch Elektrospinning hergestellten Implantate weisen die mechanischen und strukturellen Eigenschaften einer normalen Herzklappe auf. Wie das Original schließen und öffnen sie sich bei Versuchen im Bioreaktor bei einem Blutdruck von 120 zu 80 mmHg", so Hinderer. Im nächsten Schritt wollen die Forscher die mit Proteinen ausgerüsteten Scaffolds im Tiermodell testen.

Die Hybride aus Polymer- und Proteinfasern lassen sich in großen Mengen herstellen und lagern. Das Team vom IGB arbeitet daran, mit den neuartigen Trägersubstraten eine schnell einsetzbare Alternative zu herkömmlichen Klappenmodellen zur Marktreife zu bringen.

 "Wie lange das dauern wird, ist aber nicht vorhersehbar", sagt Hinderer. Der Vorteil: Zellfreie Implantate müssen nur als Medizinprodukt, jedoch nicht als Arzneimittel für neuartige Therapien zugelassen werden. (eb)

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

© DG FotoStock / shutterstock

Update

Neue Podcast-Folgen

Grippeschutz in der Praxis – Jetzt reinhören!

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Herz mit aufgemalter Spritze neben Arm

© Ratana21 / shutterstock

Studie im Fokus

Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Prävention durch Influenzaimpfung?

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Junge Frau spricht mit einer Freundin im Bus

© skynesher | E+ | Geytty Images

Update

Impflücken bei Chronikern

Chronisch krank? Grippeimpfung kann Leben retten

Anzeige | Viatris-Gruppe Deutschland
Innovationsforum für privatärztliche Medizin

© Tag der privatmedizin

Tag der Privatmedizin 2025

Innovationsforum für privatärztliche Medizin

Kooperation | In Kooperation mit: Tag der Privatmedizin
Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer und Vizepräsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, hofft, dass das BMG mit der Prüfung des Kompromisses zur GOÄneu im Herbst durch ist (Archivbild).

© picture alliance / Jörg Carstensen | Joerg Carstensen

Novelle der Gebührenordnung für Ärzte

BÄK-Präsident Reinhardt: Die GOÄneu könnte 2027 kommen

Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: FIB-4 1,3: numerische 26%ige Risikoreduktion der 3-Punkt-MACE durch Semaglutid 2,4mg

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [17]

Kardiovaskuläre, renale und hepatische Komorbiditäten

Therapie der Adipositas – mehr als Gewichtsabnahme

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Daten aus Wales

Infarktrisiko steigt offenbar auch nach Harnwegsinfekt

Einstufung in den Pflegegrad

Pflegebegutachtung: Wann hausärztlicher Rat gefragt ist

Lesetipps
Ein Geldschein liegt in einer Mausefalle.

© photo 5000 / stock.adobe.com

Knackpunkt Selbstzahlerleistungen

Der richtige Umgang mit IGeL-Fallen

„Nicht jeder Mensch ab 70 wird künftig Statine nehmen, aber es werden mehr als bisher sein“, prognostiziert Kollegin Erika Baum von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin.

© Rafal Rutkowski / stock.adobe.com

„Erheblicher zusätzlicher Beratungsbedarf“

Statine: Was der G-BA-Beschluss für Praxen bedeutet

Stethoskop auf Geldmünzen

© oppoh / stock.adobe.com / Generated by AI

EBM-Abrechnung 2026

Vorhaltepauschale 2.0: Bei 10 Kriterien ist für jeden was dabei