Stummes Vorhofflimmern bedroht das Hirn

Bereits kurze und asymptomatische Episoden von Vorhofflimmern können bei Patienten, die zuvor keine klinischen Anzeichen für eine solche Arrhythmie boten, das Schlaganfallrisiko deutlich erhöhen.

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Genau hinsehen, um das Schlaganfallrisiko zu erkennen.

Genau hinsehen, um das Schlaganfallrisiko zu erkennen.

© Alila / fotolia.com

HAMILTON (ob). Bei rund einem Viertel aller Schlaganfälle bleibt die Ursache ungeklärt. Bislang ist bei diesen "kryptogenen" Schlaganfällen viel über einen Zusammenhang mit einem persistierenden Foramen ovale diskutiert worden.

Ergebnisse einer neuen Studie sprechen dafür, dass auch asymptomatisches Vorhofflimmern als wichtige Ursache in Betracht gezogen werden muss (NEJM 2012; 366: 120).

Wie lässt sich völlig symptomloses Vorhofflimmern bei Personen ohne klinische Hinweise auf diese Arrhythmie entdecken? Eine internationale Forschergruppe um Dr. Jeff Healey aus Hamilton in Kanada hat dieses Problem in der Studie elegant mithilfe der modernen kardiologischen Medizintechnik gelöst.

Moderne Herzschrittmacher- und ICD-Systeme taugen nämlich auch zu diagnostischen Zwecken. Sie sind - bei Ausstattung mit einer "wahrnehmenden" Elektrode und entsprechender Programmierung - etwa in der Lage, subklinische Episoden einer hochfrequenter atrialer Tachyarrhythmie als Korrelat von Vorhofflimmern zu detektieren.

Patienten ohne bekanntes Vorhofflimmern

Um den Zusammenhang zwischen subklinischem Vorhofflimmern und Schlaganfallrisiko zu klären, haben Healey und seine Kollegen 2580 Patienten im Alter über 65 Jahre, denen kurz vorher ein Schrittmacher (95 Prozent) oder Defibrillator (5 Prozent) implantiert worden war, in eine Studie mit dem Akronym ASSERT aufgenommen. Bedingung war: kein bekanntes Vorhofflimmern in der Vorgeschichte.

Mithilfe der implantierten Systeme sind in einer ersten Phase zunächst drei Monate lang die aufgetretenen atrialen Tachyarrhythmien (Vorhoffrequenz von mehr als 190 Schlägen/Minute über mindestens sechs Minuten) erfasst worden. In dieser Zeit wurden bei 261 Patienten (10,3 Prozent) mindestens eine entsprechende Arrhythmie-Episode entdeckt.

Es folgte eine zweite Phase von 2,5-jähriger Dauer, in der das Interesse der Forscher primär den in dieser Zeit aufgetretenen ischämischen Schlaganfällen und systemischen Embolien galt. In dieser Phase kam es bei weiteren 633 Patienten (24,5 Prozent) zu subklinischen atrialen Tachyarrhythmien.

Das Hauptergebnis: Patienten, die in den ersten drei Monaten asymptomatisches Vorhofflimmern aufwiesen, hatten in der Folgezeit ein 2,5-fach höheres Schlaganfallrisiko als Patienten ohne entsprechende Episoden (Schlaganfallrate: 4,2 versus 1,7 Prozent).

Von den 51 Patienten mit primären Ereignissen (46 Schlaganfälle, 5 systemische Embolien) hatten 11 in den ersten drei Monaten asymptomatisches Vorhofflimmern ohne eine einzige symptomatische Episode.

Lehre für die Praxis noch unklar

Von allen Patienten mit asymptomatischem Vorhofflimmern in den ersten drei Monaten entwickelten 15,7 Prozent in der Folgezeit klinische Symptome dieser Arrhythmie; in der Gruppe ohne subklinische atriale Tachyarrhythmie war konsekutiv bei 3,1 Prozent ein klinisch manifestes Vorhofflimmern zu beobachten.

Eine griffige "take-home message" lässt sich aus diesen Ergebnissen nicht ableiten. Zwar hat die Studie asymptomatisches Vorhofflimmern als Risikofaktor für den Schlaganfall stärker ins Bewusstsein gebracht.

Die Frage, wie diesem Risikofaktor künftig in der Praxis zu begegnen ist, bleibt aber unbeantwortet. Für die These, dass eine Antikoagulation auch bei asymptomatischem Vorhofflimmern Schutz bietet, gibt es keine Belege in Form von Studiendaten.

Möglich erscheint aber ein pragmatisches Vorgehen unter Einbeziehung des Schlaganfall-Risikoscores (CHADS2) in die klinische Entscheidung für oder gegen eine Antikoagulation.

Die ASSERT-Daten zeigen nämlich, dass bei Patienten, die asymptomatisches Vorhofflimmern und gleichzeitig einen CHADS2-Score von 2 oder höher aufwiesen, die Schlaganfallrate mit 3,8 Prozent pro Jahr hoch war.

Im Übrigen vergingen nach den ASSERT-Daten bis zum Auftreten einer ersten Episode asymptomatischen Vorhofflimmerns im Median 36 Tage. Selbst mehrtägiges Holter-Monitoring dürfte also als Nachweismethode kaum geeignet sein.

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