Migräne

Migräne: Apoplex-Risiko nach Op erhöht

Migränepatienten haben kurz nach einer Operation ein deutlich erhöhtes Schlaganfallrisiko. Das hat eine prospektive Registerstudie ergeben.

Von Dr. Elke Oberhofer Veröffentlicht:

BOSTON. Dass zwischen Migräne und dem Auftreten eines Schlaganfalls eine deutliche Assoziation besteht, haben bereits mehrere Beobachtungsstudien nahegelegt. Aktuell hat ein Forscherteam aus den USA, Deutschland und Dänemark Belege dafür gefunden, dass Migränepatienten nach einer Operation in besonderem Maße gefährdet sind, einen ischämischen Insult zu erleiden, vor allem dann, wenn die Kopfschmerzen von einer Aura begleitet sind. Auch die Rate neuerlicher Klinikeinweisungen war bei diesen Patienten deutlich erhöht (BMJ 2017; 356: i6635).

Daten von über 124.000 Patienten

Wie Fanny P. Timm vom Massachusetts General Hospital und Kollegen anhand des lokalen Klinikregisters gezeigt haben, lag die Gesamtinzidenz der Schlaganfälle innerhalb von 30 Tagen nach einem chirurgischen Eingriff bei 0,6 Prozent. Nach Abgleichung verschiedener Risikofaktoren, darunter BMI, ASA-Status, Charlson Comorbidity Index, Diabetes, Hypo-/Hypertonie, KHK, Herzfehler und Vorhofflimmern, schätzten die Forscher die absolute Inzidenz auf insgesamt 2,4 ischämische Schlaganfälle pro 1000 Chirurgiepatienten. Das Risiko kletterte auf 4,3 pro 1000 bei Migränepatienten und auf 6,3 pro 1000, wenn man nur Migränepatienten mit Aura herausgriff.

In die prospektive Registerstudie waren Daten von 124.558 chirurgischen Patienten eingeflossen, darunter 10.179 mit ärztlich diagnostizierter Migräne. Von den 771 Patienten, die im Gefolge der Op einen Schlaganfall erlitten hatten, wiesen 89 (11,5 Prozent) eine Migräne in der Anamnese auf, davon 18 mit und 71 ohne Aura.

Die Migränediagnose erhöhte die Wahrscheinlichkeit für einen perioperativen ischämischen Schlaganfall innerhalb eines Monats signifikant (Odds Ratio, OR 1,75). Dabei war das Insultrisiko für Migränepatienten mit Aura deutlich höher als für solche ohne Aura (OR 2,61 bzw. 1,62, jeweils im Vergleich mit Patienten ohne Migräne). In 46,2 Prozent der Fälle ereignete sich der Insult in den ersten beiden Tagen nach der Operation. Ein gutes Viertel trat dagegen erst nach der Entlassung auf; auch hierfür war die Wahrscheinlichkeit bei Migränepatienten besonders stark erhöht (OR 1,94). Insgesamt waren Eingriffe an den Gefäßen und am Herzen am risikoreichsten; die Schlaganfallraten lagen hier bei 4,0 bzw. 3,5 Prozent. Dies erstaunt nicht, schließlich ziehen solche Operationen vergleichsweise häufig Thromboembolien nach sich.

Vorsicht bei Vasopressoren!

Was auffiel, war der Zusammenhang mit einer intraoperativen Verabreichung von Vasopressoren; auch diese scheinen für sich genommen das Schlaganfallrisiko bei Migränepatienten zu erhöhen.

Die Migräne wirkte sich zudem erheblich auf die Rate der erneuten Klinikeinweisungen aus: Insgesamt mussten 10.088 Studienteilnehmer innerhalb von 30 Tagen nach der Entlassung ein zweites Mal in die Klinik. Unter den Migränepatienten war dieses Risiko um 31 Prozent erhöht. Besonders hoch war der Anteil der Zweiteinweisungen bei den Patienten mit Aura (OR 1,59).

Für eine Sensitivitätsanalyse hatten die Forscher die Patienten aufgrund ihres präoperativen Risikostatus in drei Subgruppen unterteilt: solche mit niedrigem, intermediärem und hohem Schlaganfallrisiko. Am stärksten war der Einfluss der Migräne auf das Schlaganfallrisiko für die Patienten aus der niedrigsten Risikokategorie. Dagegen waren Alter oder Geschlecht in diesem Zusammenhang überraschenderweise nicht relevant.

Für den nachbetreuenden Arzt interessant: Bei den erneuten Einweisungen spielten neben neurologischen und kardiovaskulären Erkrankungen auch Erkrankungen des Verdauungstrakts und Symptome wie Übelkeit oder Erbrechen gerade bei Migränepatienten eine maßgebliche Rolle.

Darüber, was das erhöhte Insultrisiko speziell bei Migränepatienten ausmacht, können Timm und Kollegen nur spekulieren: Erstere reagierten möglicherweise besonders empfindlich auf zerebrale Durchblutungsstörungen. Den Forschern zufolge führt hier die Ischämie zu fortschreitenden Depolarisierungen, was zu einer verlängerten Vasokonstriktion und verringerter Sauerstoffversorgung führen könne.

Hinzu kämen möglicherweise Mikroembolien auf der Basis von Shuntanomalien in Lunge oder Herz. Mit der Op in Zusammenhang stehende Prozesse wie die Allgemeinanästhesie, Dehydrierung sowie das perioperative Absetzen von Antikoagulanzien täten ein Übriges, um die Ischämie und damit die Neigung zur Gerinnselbildung zu erhöhen.

Auf Volumenersatz achten!

Präventiv ist es den Autoren zufolge ratsam, gerade bei Migränepatienten Vasopressoren möglichst zurückhaltend einzusetzen und vielmehr während der Anästhesie penibel auf einen adäquaten Volumenersatz zu achten.

Die Forscher fordern vor allem, bei der perioperativen Risikobewertung routinemäßig abzuklären, ob der Patient an einer Migräne leidet. Angesichts des deutlich erhöhten Schlaganfallrisikos dieser Patienten sei dies von hoher klinischer Relevanz.

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