Tinnitus

Angst macht es nicht besser

Bei chronischem Tinnitus kann es zu psychischen Überlagerungen kommen, die das Leid der Betroffenen noch verstärken. Psychosomatisch geschulte HNO-Ärzte setzen deswegen auf Sachlichkeit im Umgang mit dem Pfeifen.

Veröffentlicht:
Tinnitus kann mit Depressionen und Schlafstörung einher gehen.

Tinnitus kann mit Depressionen und Schlafstörung einher gehen.

© Kaarsten / fotolia.com

BOCHUM. Tinnitus gehört zu jenen Erkrankungen, bei denen die Patienten dem Arzt oft von selbst eine psychische Genese anbieten. "Viele sagen gleich zu Beginn, dass das von ihrem Chef komme", sagte die HNO-Ärztin Dr. Astrid Marek vom Klinikum Bochum.

Oft liegt bei Tinnitus-Patienten auch noch eine ausgeprägte Angst vor dem totalen Verlust des Hörvermögens vor. Beides, die letztlich unbegründete Angst und die Neigung, die Ursache bei als unbeeinflussbar wahrgenommenen Faktoren zu suchen, trägt nicht zur Heilung bei.

Marek empfiehlt im Umgang mit Tinnitus-Patienten deswegen aus psychosomatischer Sicht eine Strategie der Versachlichung. Dazu gehört, die Patienten auf die tatsächlich bestehenden Wechselwirkungen zwischen Körper, also Gehör, und seelischen Prozessen hinzuweisen. So könne chronischer Stress über die Kortisolachse zu einer vermehrten Kalziumansammlung führen, was Nervenzellen und Sinneszellen schädigt.

Das sind aber keine plötzlichen Phänomene. Physiologisch liege dem Tinnitus ein organischer Befund im auditorischen System zugrunde, sagte Marek beim Deutschen Kongress für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie in Berlin.

In der Regel handele es sich um einen umschriebenen Schaden, beispielsweise in Folge eines Lärmtraumas. Im Hörtest müsse dieser Schaden nicht zwangsläufig nachweisbar sein, weil er auch Frequenzen jenseits des üblichen Hörspektrums betreffen kann, so Marek in Berlin.

"40 Prozent der Menschen haben irgendwann im Leben einmal einen Tinnitus"

Kommt es bei einem derart vorgeschädigten Gehör zu einer Auslösesituation, etwa erneuter Lärm, totale Stille, Hitze, Kälte, Allergenexposition, Fieber, Schlafstörungen, akuter Stress oder ein Schmerzereignis, dann passiert etwas Ähnliches wie bei Patienten mit Phantomschmerz: Die Nervenzellen generieren eine Sinneswahrnehmung, die kein akustisches Korrelat hat.

Selten ist das nicht: "40 Prozent der Menschen haben irgendwann im Leben einmal einen Tinnitus", berichtete Marek.

Aus psychosomatischer Sicht besteht der Charme an diesem rationalen Erklärungsmodell vor allem darin, dass es dazu beiträgt, Katastrophisierungstendenzen entgegen zu wirken. Es drohe eben gerade kein Hörverlust, so die HNO-Ärztin.

Ist der Grund derart gelegt, kann individuell verhaltenstherapeutisch am Umgang mit typischen Auslösesituationen gearbeitet werden. Auch eine Verbesserung des Schlafverhaltens sowie verschiedene Geräuschübungen seien hilfreich. (gvg)

Mehr zum Thema

Kleine randomisierte Studie

Leichte OSA, kleine Tonsillen: Mandelentfernung kann warten

Das könnte Sie auch interessieren
Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

© Bionorica SE

Phytoneering-Akademie

Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

Anzeige | Bionorica SE
Antibiotika – Fluch und Segen

© Bionorica SE

Podcast

Antibiotika – Fluch und Segen

Anzeige | Bionorica SE
Brauchen wir noch Antibiotika?

© deepblue4you | iStock

Content Hub

Brauchen wir noch Antibiotika?

Anzeige | Bionorica SE
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

© Vink Fan / stock.adobe.com

Aktive schubförmige Multiple Sklerose

7-Jahres-Daten belegen günstiges Nutzen-Risiko-Profil von Ofatumumab

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Novartis Pharma GmbH, Nürnberg

ADHS im Erwachsenenalter

Wechseljahre und ADHS: Einfluss hormoneller Veränderungen auf Symptomatik und Diagnose

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: MEDICE Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG, Iserlohn
Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

© Dr_Microbe / stock.adobe.com

Entwicklungen in der Therapie neuromuskulärer Erkrankungen

Neue Ansätze zur Behandlung seltener Krankheitsbilder

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Kasuistik

Die stille Last der Acne inversa

Lesetipps
CT des Abdomens, portalvenöse Phase

© Universitätsklinikum Regensburg/Claudia Wolf

Kasuistik

Welche seltene Differenzialdiagnose steckte hinter dem vermuteten Aszites?