Latenz-Reversion

Dänen "kicken" HIV raus

Ein Durchbruch für neue HIV-Therapien? Dänische Forscher haben zumindest einen neuen Ansatz gegen schlummernde HI-Viren erfolgreich getestet. Doch ein Versuch macht noch keine Therapie.

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Einfach aus den infizierten Zellen locken: HI-Virus.

Einfach aus den infizierten Zellen locken: HI-Virus.

© Springer Verlag

MELBOURNE. Ein junger Wirkstoff aus der Onkologie könnte womöglich die HIV-Therapie bereichern - wenn nicht gar einen Durchbruch bringen. Darin waren sich zumindest einige Experten beim 20. Internationalen Aids-Kongress der IAS in Melbourne einig, nachdem dort am Dienstag Erfolg versprechende neue Daten zur HIV-Latenz-Reversion vorgestellt wurden.

Die Latenz-Reversion ist eine der großen Hoffnungen in der Aids-Forschung. Bekanntlich können zwischen einer HIV-Infektion und dem Erkrankungsbeginn viele Jahre vergehen. In dieser Latenzphase schlummern die Viren in zellulären Reservoiren des Wirts.

Zudem lässt sich bei HIV-positiven Patienten mit einer antiretroviralen Therapie bekanntlich nur die Viruslast reduzieren, also die Zahl der neu replizierten Viruskopien. "Schlummernde" Wirtszellen mit HIV-DNA werden dadurch nicht erreicht. Dort sind die HI-Viren für therapeutische Interventionen bislang unerreichbar, mit der Folge, dass die Infektion immer wieder erneut aufflammen kann.

Für eine erfolgreiche Viruseradikation ist das die "Hauptbarriere", wie es der HIV-Spezialist Professor Robert Siliciano von der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore jüngst genannt hat (Nature Med 2014; 20: 425).

Neue Therapiestrategien versuchen daher, die Reservoire zu aktivieren. Zahlreiche pharmakologische Optionen sind in das Interesse der Forschung gerückt, die sogenannten "Latenz-Reversions-Wirkstoffe" (LRA). Dadurch sollen die HI-Viren quasi aus ihren "Höhlen" herausgelockt werden und die infizierten Zellen durch die HIV-Transkription zerstört werden. Letztlich ist die vollständige Elimination dieser Reservoire das Ziel. Forscher nennen das Prinzip "Kick and Kill".

In der jetzt beim Aids-Kongress vorgestellten Studie haben Forscher um Dr. Ole Søgaard von der Universität Aarhus bei sechs HIV-Patienten einen Teil dieses Ziels erreicht. Die fünf Männer und eine Frau befanden sich bereits im Schnitt seit neun Jahren in einer Therapie mit kombinierten antiretroviralen Arzneien (cART) (IAS 2014; Abstract TUAA0106LB).

Zum Einsatz in der Phase-I/II-Studie kam der HDAC-Inhibitor Romidepsin. Das Präparat Istodax® ist unter anderem in den USA zur Therapie beim kutanen T-Zellenlymphom (CTCL) zu gelassen. Es hemmt die Histon-Deacetylase, die maßgeblich mit an der Regelung der Gentranskription beteiligt ist.

Im Fall von HIV könnten spezielle Histonkomplexe die provirale Transkription in den Reservoiren verhindern. HDAC-Inhibitoren wie Romidepsin sollen diese Verhinderung verhindern (Drug Discovery Today 2012; 18(11/12): 541).

In der dänischen Studie schafften die Forscher das. Durch wöchentliche i.v.-Injektionen des Wirkstoffs über drei Wochen nahm nicht nur die Histon-Acetylierung - als Surrogat für die Wirkung von Romidepsin - um das 17-Fache zu, auch die Viruslast stieg. Die Virämie war in der Studie ein "positives" Zeichen für die zunehmende und gewollte Virusreplikation.

Die HIV-RNA-Spiegel stiegen signifikant um den Faktor 2,1 bis 3,9 verglichen mit den Werten vor der Therapie. Vor allem aber stieg die Viruslast von zunächst "undetektierbar" auf schließlich nachweisbare Titer von 46 bis 103 Viruskopien pro Milliliter Serum. Nach Angaben der Forscher stand der HIV-RNA-Nachweis im Plasma außerdem in einem direkten Verhältnis zu der Romidepsin-Infusion.

"Wir haben eine bedeutende Freisetzung von Virus-Partikeln erreicht", sagte Søgaard in Melbourne. Die Studie zeige, dass in vivo eine "potente" Latenz-Reversion möglich sei. "Sie zeigt, dass das Virus aufgeweckt und zum Verlassen der Zelle gebracht werden kann", sagte die Vizepräsidentin des Kongresses, Professor Sharon Lewin. Und der kalifornische HIV-Experte Professor Steven Deeks sagte sogar: "Es ist das wichtigste Ergebnis dieser Konferenz."

Doch tatsächlich ist die Studie nur ein Minischritt auf einer langen Etappe hin zu einer neuen Therapie. Denn in ihrer Studie haben die Dänen längst nicht herausgefunden, ob durch ihre Intervention auch die Zahl der HIV-Reservoire gesunken ist. "Wir wissen nicht, ob wir ein Prozent dieser Zellen, fünf oder 50 erreicht haben", gab Søgaard zu bedenken.

Dennoch will sein Team weiter an dem Ansatz forschen. Sie haben auch die Möglichkeit einer (hypothetischen) Impfung im Blick. Damit soll das Immunsystem angekurbelt werden, damit es die freigesetzten HI-Viren selbst eliminieren kann. Womöglich wären die Chancen dafür vor einer längst begonnenen Aids-Erkrankung deutlich größer, da dann das Immunsystem noch nicht so stark geschwächt ist.

Allerdings sind HIV-Vakzinen noch immer Zukunftsmusik. Bislang scheiterten alle Versuche bekanntlich an der hohen Variabilität des Virus‘. Søgaard will nun einen experimentellen Impfstoff testen. Details dazu nannte er allerdings nicht. (nös)

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