Frühe Diagnose

"Einfache HIV-Ersttherapie ist für fast alle Patienten möglich"

Die antiretrovirale Therapie ist bei neu diagnostizierter HIV-Infektion stets angezeigt, und zwar unabhängig vom Stadium der Infektion oder der Helferzellzahl.

Dr. Thomas MeißnerVon Dr. Thomas Meißner Veröffentlicht:
"Einfache HIV-Ersttherapie ist für fast alle Patienten möglich"

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BONN. Die frühe Diagnose einer HIV-Infektion und die rechtzeitige Therapie verbessern die Prognose dramatisch: Der Ausbruch von Aids lässt sich unterbinden, die Lebenserwartung ist annähernd normal. Zudem lassen sich Neuinfektionen verhindern. "Daher wird jetzt bei jedem Patienten mit HIV-Infektion die Einleitung einer antiretroviralen Kombitherapie empfohlen, in der Regel unabhängig vom jeweiligen Helferzellstatus", erklären Professor Jürgen Rockstroh und Privatdozent Jan-Christian Wasmuth vom Uniklinikum Bonn (Internist 2016; 57: 773-783).

Die Erfolge der antiretroviralen Therapie (ART) sowie der große individuelle Nutzen sind Gründe dafür, weshalb bei Vorliegen bestimmter Indikator-Erkrankungen unbedingt an den HIV-Test gedacht werden soll. Denn noch immer wird fast die Hälfte der HIV-Infektionen in Westeuropa erst spät diagnostiziert. IndikatorErkrankungen sind zum Beispiel sexuell übertragbare Infektionen, Lymphome, Zervix- oder Analdysplasien oder -karzinome.

Zahl der "late presenter" senken

Würde bei solchen Patienten stets auch an einen HIV-Test gedacht, könnte die Zahl der "late presenter", also von HIV-Positiven, bei denen die CD4-Zellzahl bereits unter 350/Mikroliter gefallen ist oder ein Aids-definierendes Ereignis vorliegt, gesenkt werden. Gleiches gilt für Patienten mit Herpes zoster, Hepatitis B und C sowie nicht erklärbaren Leukopenien, Thrombopenien oder bei seborrhoischer Dermatitis. Ziel ist, mit der ART die HIV-Vermehrung vollständig zu unterdrücken und HIV-assoziierte Krankheiten und Symptome zu verhindern. Außerdem soll die chronische Entzündung vermindert werden, so dass sich das Immunsystem des Patienten erholen kann. Messbare Ziele sind der Anstieg der T-Helferzellzahl auf über 500/Mikroliter sowie ein normalisiertes T4/T8-Verhältnis. Sinkt die Viruslast unter die Nachweisgrenze von 20 bis 50 RNA-Kopien/ml, wird auch die Infektiosität deutlich reduziert.

Zu erreichen sei dies nur mit einer hohen antiviralen Aktivität der verabreichten Kombitherapie, berichten Rockstroh und Wasmuth. "Dabei ist die zuverlässige Einnahme der Medikation wesentlich für den Therapieerfolg." Denn gelingt es nicht, die Viruslast dauerhaft unter die Nachweisgrenze zu drücken, drohen Resistenzentwicklungen gegen die Medikamente und Therapieversagen.

Inzwischen stehen mehr als ein Dutzend antiretroviral wirkender Substanzen zur Verfügung, oft als Fixkombinationen. "Damit ist für fast alle Patienten eine einfache HIV-Ersttherapie möglich, die ein bis drei Tabletten umfasst", so die Bonner HIV-Experten. Fester Bestandteil der Erstlinientherapie sind zwei Nukleosid- oder Nukleotidanaloga (NRTI, NtRTI), verbunden mit einem dritten Kombinationspartner: ein NNRTI (Nicht-Nukleosid-reverse Transkriptase-Inhibitor), ein Ritonavir- oder Cobicistat-geboosterter Proteaseinhibitor (PI/r; PI/c) oder ein Integrase-Inhibitor (INI).

Einmal-täglich-Regimes möglich

Die Boosterung der Proteasehemmer führt zu vergleichsweise hohen Talspiegeln der Substanzen, so dass Einmal-täglich-Regimes möglich werden, zugleich entsteht eine genetisch hohe Barriere gegen Resistenzen. Die Kombinationen haben sich als sicher und gut verträglich erwiesen, gerade INI spielen derzeit wegen ihrer guten Verträglichkeit in der Ersteinstellung eine große Rolle.

Zu beachten ist allerdings, dass viele HIV-Medikamente über das hepatische Cytochrom-P450-System oder über renale Transporter metabolisiert werden. Gerade wenn parallel weitere Krankheiten medikamentös behandelt werden müssen, eine Hepatitis etwa, eine bakterielle Infektion oder psychische Störungen, soll jede Komedikation auf mögliche Arzneimittelinteraktionen geprüft werden. Hilfreich ist dabei das Internetportal www.hiv-druginteractions.org. Gegebenenfalls müssen die ART oder die Komedikation angepasst werden, um nicht die Wirksamkeit oder Sicherheit der Therapien zu beeinträchtigen. Bei HIV-positiven Frauen ist bei der Therapieauswahl auch ein möglicher Kinderwunsch zu berücksichtigen.

Prinzipiell gilt auch bei erfolgreicher Initialtherapie, dass HIV-Patienten regelmäßig in spezialisierten Ambulanzen vorstellig werden, betonen Rockstroh und Wasmuth. Dies stellt sicher, dass ein mögliches Therapieversagen rechtzeitig erkannt wird und entsprechende Behandlungumstellungen erfolgen. Außerdem könne auf diese Weise Langzeittoxizitäten und Komorbiditäten vorgebeugt werden.

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